Sonntag, 28. März 1954
Die Vorzeichen für das heute im Saarbrücker Ludwigsparkstadion stattfindende, entscheidende Qualifikationsspiel gegen das Saarland sind sehr gemischt ausgefallen: Torhüter Toni Turek glänzte vor einer Woche beim 3:1-Sieg seiner Mannschaft, Jupp Posipal verlor mit seinem HSV zum vierten Mal in Folge, Ottmar Walter erzielte beim 6:0 Kaiserslauterns zwei Treffer, Fritz Walter führte dabei hervorragend Regie. Fürth und Stuttgart verloren, Frankfurt und Nürnberg 2:2 spielten unentschieden (Gunter Baumann unterlief dabei ein Eigentor), Rot-Weiß Essen schlug Borussia Dortmund 4:2, und Hans Schäfer (2 Tore) und Jupp Röhrig (1) hatten großen Verdienst am 6:2-Sieg des 1. FC Köln. Aber: der 1. FC Saarbrücken schlug Borussia Neunkirchen mit 6:1, und da die saarländische Nationalmannschaft bis auf einen Spieler komplett von den Saarbrückern gestellt wird, kann man deren Generalprobe durchaus als gelungen bezeichnen.
Am vergangenen Mittwoch war die deutsche B-Auswahl gegen die der Engländer chancenlos. Torhüter Kwiatkowski bekam zwar trotz vier Gegentoren eine tolle Beurteilung, aber die Verteidigung überzeugte wenig. Der Berliner Deinert erwies sich als zu langsam, der Fürther Erhardt erfüllte nur so einigermaßen die Erwartungen, und der Siegener Mannschaftskapitän Herbert Schäfer kämpfte bis zum Umfallen, konnte aber keine volle Wirkung erzielen. Auch vom Sodinger Harpers als Spielmacher erhoffte man sich mehr. Die Deutschen schossen kein einziges Tor!
Die deutsche A-Auswahl verließ am Freitag die Sportschule Hennef und reiste mit dem Zug nach Saarbrücken. Am Samstagabend sah sich die gesamte Truppe zur Zerstreuung im Kino einen "amerikanischen Kriminalreißer" an.
Am Tag seines 57. Geburtstags überrascht Sepp Herberger Fachpresse und Publikum mit folgender Aufstellung: Turek im Tor, Kohlmeyer und Retter in der Verteidigung, Schanko, Liebrich und Posipal in der Läuferreihe, die Kölner Schäfer und Röhrig auf der linken Sturmseite, Fritz Walter auf der ungewohnten Positionen eines Mittelstürmers, sowie Morlock und Rahn auf der rechten Seite. Dass der etatmäßige Mittelläufer Posipal nach außen beordert wird, kommt einem Experiment gleich, in dessen Mittelpunkt der Kaiserslauterer Liebrich steht. Kann er sich auf dem Stopperposten bewähren und die Abwehr stabilisieren?
Die Elf des Saarlandes, die vom früheren deutschen Nationalspieler Helmut Schön betreut wird, tritt in folgender Besetzung an: Strempel; Biewer, Keck; Clemens, Momber, Philippi; Otto, Martin, Binkert, Siedl und Schirra. Außer Clemens, der bei Saar 05 spielt, gehört die gesamte Mannschaft dem 1. FC Saarbrücken an. Der deutsche Gegner ist also perfekt aufeinander eingespielt. Andererseits bildet das Saarland alles andere als einen unbekannten Gegner. Da sie seit 1951 am Spielbetrieb der Oberliga Südwest teilnehmen dürfen, treffen die Saarbrücker regelmäßig auf die Mannschaft von Kaiserslautern.
Die Ausgangsposition: Deutschland führt in der Qualifikationsgruppe und kann mit einem Unentschieden sein Ziel erreichen. Das Saarland muss unbedingt gewinnen, um noch Gruppenerster werden zu können und sich für die Schweiz zu qualifizieren. Und genauso beginnt die Saarelf ihr Spiel, das ab der zweiten Halbzeit abwechselnd von Rudi Michel für den Südwestfunk und Charly Scholz für den Saarländischen Rundfunk im Radio kommentiert wird, und erarbeitet sich mit schwungvollen Angriffen und flüssigen Kombinationen eine Torchance nach der anderen. Mit etwas mehr Glück könnte sie in der ersten Halbzeit mit zwei Toren Vorsprung führen. Die deutsche Abwehr wirkt durchaus anfällig für Gegentore. Lediglich Liebrichs Stopperspiel und Tureks Ruhe verhindern einen Rückstand der deutschen Mannschaft.
Einen großen Schwachpunkt bildet überraschenderweise Fritz Walter, der sich lustlos und unsicher präsentiert. Seine Leistung erinnert an ein Spiel zwei Jahre vorher in Paris, nach dem er sich von der Presse sehr gedemütigt fühlte und schon bereit war, seine Nationalmannschaftskarriere zu beenden. Prompt nimmt ihn Herberger in der 30. Minute vom Feld und schickt dafür seinen Bruder Ottmar auf dessen angestammte Position. Wie zum Beweis für die Richtigkeit dieser Maßnahme fällt sechs Minuten darauf nach einer Flanke von Rahn das 1:0 per Abstauber durch Maxl Morlock. Wenngleich diese Führung unverdient ist, so gibt sie der deutschen Mannschaft doch etwas mehr Sicherheit.
Bereits zwei Minuten vor Fritz Walters Auswechselung musste sich Posipal am Spielfeldrand behandeln lassen. Die Verletzung war nicht tragisch, er konnte weiterspielen, fühlte sich aber offensichtlich auf der Außenläuferposition nicht wohl. Als Ottmar ins Spiel kommt, rutscht Posipal auf die noch ungewohntere halblinke Sturmposition, zum Nachteil des Kölner Duos Röhrig/Schäfer, das nun nicht - wie im Verein gewohnt - den linken Flügel unsicher machen kann. Trotzdem erweist sich die Umstellung als gute Maßnahme, denn in der 48. Minute, kurz nach Wiederanpfiff, trifft Morlock nach Kopfballvorlage von Posipal zum zweiten Mal ins gegnerische Tor.
In der 60. Minute scheint das Spiel vorzeitig entschieden, denn der Saarbrücker Philippi verletzt sich und kann nicht mehr weiterspielen. Da in den Qualifikationsspielen nur in der ersten Halbzeit ausgewechselt werden darf, muss die Saarelf das Spiel in Unterzahl beenden. Wenig später fällt ein Tor durch Ottmar, das aber vom holländischen Schiedsrichter Bronkhorst wegen Abseitsstellung nicht anerkannt wird, wie es in der 17. Minute auch schon den Saarländern "gelungen" ist. In der 69. Minute unterläuft dann dem Dortmunder Schanko ein Handspiel. Der Saarbrücker Halbrechte Martin lässt sich die Chance nicht entgehen und erzielt per Elfmeter den Anschlusstreffer. Nur drei Minuten später gelingt der Saar fast der Ausgleich, und Rudi Michael kommt zu dem entschuldigenden Fazit "Man spielt nicht jeden Tag in Bestform!" Neben Fritz Walter gilt das auch für Helmut Rahn, der auf dem Spielfeld den Eigennutz demonstriert, für den er berüchtigt ist: er dribbelt sich fest, gibt den Ball nicht ab, läuft ins Abseits, suchte alleine den Erfolg.
Immerhin kommt sieben Minuten vor Schluss die Vorarbeit von Rahn, als dem ungeheuer aktiven Schäfer das 3:1 gelingt, und den Deutschen der Sieg nun nicht mehr zu nehmen ist. Die Qualifikation für die Schweiz ist erreicht, aber das Auftreten der Mannschaft macht wenig Hoffnung auf eine Chance, beim Konzert der Großen Aufsehen zu erregen. Die anwesenden Cheftrainer der Ungarn (Sebes) und der Schweiz (Rappan) sind jedenfalls alles Andere als beeindruckt vom Spielvermögen der deutschen Mannschaft.
Trotzdem findet der Abend beim anschließenden Bankett einen freundlichen Ausgang: DFB-Präsident Bauwens zeichnet Fritz Walter auf Grund seines 38. Länderspiels mit dem Silberlorbeer aus. Befürchtet man beim DFB vielleicht, Fritz könnte die Konsequenzen aus dem Spiel ziehen und zurücktreten? Und das zehn Wochen vor der Weltmeisterschaft? Nicht auszudenken.
Noch nicht ganz so weit ist der ebenfalls gescholtene Helmut Rahn, der die nach dem 10. Länderspiel übliche silberne Ehrennadel des DFB entgegennimmt und von seinen Kameraden, wie ebenfalls üblich, zur Feier des Tages den nackten Hintern versohlt bekommt.
Montag, 29. März 1954
Nach der gelungenen Qualifikation der deutschen Mannschaft ist das Teilnehmerfeld für die Weltmeisterschaft der Schweiz bis auf die zweite britische Mannschaft komplett. In der Qualifikationsgruppe führt England. Schottland und Wales treffen noch aufeinander.
England ist bereits qualifiziert. Offen ist, ob sich Schottland oder Wales als zweites britisches Team qualifizieren können, und wer am Ende der Vorrunde Erster sein wird.
Der 81-jährige Präsident der FIFA, Jules Rimet, will im Juni von seinem Posten zurücktreten. Rimet ist der Mann, auf dessen Initiative hin seit 1930 überhaupt Fußballweltmeisterschaften stattfinden. Eine Ära neigt sich dem Ende zu.
Nicht nur die Kölner Rundschau ist der Meinung, dass Hans Schäfer gegen das Saarland der beste deutsche Angreifer war. Und Werner Liebrich hat in seinem dritten Länderspiel überhaupt mit Nachdruck bewiesen, dass er durchaus eine ernstzunehmende Alternative zu Posipal bildet. Herberger seinerseits ist froh, über einen Verteidiger wie den Stuttgarter Erich Retter zu verfügen, der sich in den letzten zwei Jahren zu einer unverzichtbaren Größe in der Nationalmannschaft entwickelt hat. Wenn Jemand neben Fritz Walter und Jupp Posipal eine Stammplatzgarantie hat, dann der Stuttgarter.
Dienstag, 30. März 1954
Jules Rimet dankt dem DFB in einem mehrsprachigen Geleitwort für die bevorstehende Ausrichtung des FIFA Jugendturniers. Zwischen dem 10. und dem 19. April werden sich 18 Mannschaften aus der ganzen Welt in einem Dutzend deutscher Städte miteinander messen. Das Turnier findet jedes Jahr statt. 1953 hieß der Sieger Ungarn.
In Caracas, der Hauptstadt von Venezuela, beschließen die südamerikanischen Fußballverbände, den geplanten Kontinentalvergleich Europa gegen Südamerika nicht wie geplant am 6. Juni, sondern erst nach der Weltmeisterschaft in der Schweiz stattfinden zu lassen. Ein entsprechender Antrag befindet sich auf dem Weg zur FIFA. Die Motivation ist unklar, jedoch würde so ein Spiel vermutlich keine zuverlässige Aussage über die Stärken der jeweiligen Mannschaften zulassen, da sich zehn Tage vor Weltmeisterschaftsbeginn Niemand mehr eine Verletzung riskieren wird.
Mittwoch, 31. März 1954
In Wrexham schlägt die Nationalmannschaft Nordirlands die von Wales mit 2:1 (1:0). Nordirland feiert damit seinen ersten Sieg in der Qualifikationsgruppe 3 und wirft Wales aus dem Rennen. Profitieren tut davon Schottland, das nun als zweiter britischer Teilnehmer feststeht. Das Spitzenspiel um die endgültige Platzierung in der britischen Runde steigt am kommenden Sonnabend zwischen England und Schottland.
Donnerstag, 1. April 1954
Vom Fußball gibt es heute keine Neuigkeiten, aber vier Tagen nach dem Bruderkampf Deutschland/Saarland kommen die deutsch-französischen Verhandlungen über das Schicksal dieser Region wieder in Gang. Französische Eingemeindung oder Autonomie? Ein 12-Punkte Programm wird erwartet.
Freitag, 2. April 1954
Der Schweizer Fußball-Verband will dem Saarland ein Freundschaftsspiel gegen den amtierenden Weltmeister Uruguay vermitteln. Die Uruguayer werden im Vorfeld der Weltmeisterschaft einige Vorbereitungsspiele in Europa austragen. Der Schweizer Fußball-Verband bemüht sich, seinen Gastgeberpflichten nachzukommen und den Uruguayern im Vorfeld behilflich zu sein.
Sonnabend, 3. April 1954
In einem vorgezogenen Spiel der Oberliga Nord verliert Werder Bremen gegen den FC St. Pauli mit 0:1. Üblicherweise finden die Spiele sonntags statt.
Zum hundertsten Mal steigt der Ruderwettbewerb zwischen Oxford und Cambridge. Oxford siegt überraschend mit viereinhalb Längen. Das hat nichts mit Fußball zu tun, aber damit wären wir auf der Insel, wo im letzten Spiel der Gruppe 3 England Schottland mit 4:2 (1:1) schlägt, womit England sämtliche Qualifikationsspiele seiner Gruppe gewonnen hat. Endlich stehen alle 16 Teilnehmer der Weltmeisterschaft in der Schweiz fest.
Sonntag, 4. April 1954
Durch einen 2:0-Sieg gegen Waldhof Mannheim wird der VfB Stuttgart mit Erich Retter Meister der Oberliga Süd. Auf den zweiten Platz landet Eintracht Frankfurt mit Alfred Pfaff und Hans Weilbächer (nach einem 2:0-Sieg in Regensburg) vor Kickers Offenbach, dessen 6:2 in Aschaffenburg keine Bedeutung mehr hat. Maxl Morlocks 1. FC Nürnberg landet trotz eines 4:1 gegen Gala Metzners Hessen Kassel mit fünf Punkten Rückstand auf dem 4. Platz.
Des weiteren: BC Augsburg - Stuttgarter Kickers 5:0 (ohne ein Tor von Mittelstürmer Biesinger). In der Oberliga West schlägt der 1. FC Köln Preußen Münster mit 8:1, Borussia Dortmund verliert gegen Schalke 04 mit 3:4, Fortuna Düsseldorf unterliegt Rot-Weiß Essen mit 0:2, und der SV Sodingen schlägt Rheydt mit 2:0. Im Norden verliert Hannover 96 gegen Osnabrück mit 1:2, Bremer SV - HSV 1:0 (Hamburg spielt mit Laband, aber Posipal ist doch noch vom Länderspiel verletzt), und in der Oberliga Südwest siegt der Tabellenführer FK Pirmasens um den Nationalmannschaftskandidaten Heinz Kubsch gegen den 1. FC Saarbrücken mit 3:2, Vorjahresmeister 1. FC Kaiserslautern deklassiert nicht nur wegen seiner fünf Nationalspieler Tura Ludwigshafen mit 9:0 und TuS Neuendorf gewinnt gegen Wormatia Worms 5:2.
Der Weltmeisterschaftsteilnehmer Belgien befindet sich in Frühform und gewinnt ein Freundschaftsspiel gegen das nicht qualifizierte Holland mit 4:0.
Montag, 5. April 1954
In Cannes wird von acht Vertretern europäischen Nationen beschlossen, neun Weltmeisterschaftsspiele im Fernsehfunk zu übertragen, darunter auch die Begegnung Ungarn gegen Deutschland. In Deutschland sind zu Jahresbeginn 10.000 Geräte registriert. Durch die Live-Übertragungen bei der Weltmeisterschaft wird sich diese Zahl verachtfachen, und noch vor dem Finale werden sämtliche lieferbaren Apparate ausverkauft sein!
Der "Kicker" macht sich rückblickend Sorgen um die deutsche Abwehrschwäche. Sollte man die traditionellen Läufer Posipal und Mebus zu Verteidigern umschulen? Im Hinblick auf Posipal klingt dieser Vorschlag geradezu prophetisch.
Ebenfalls heute im "Kicker" liest man die folgende Nachricht: Im Rahmen einer Fernsehauktion zu Gunsten der Spätheimkehrer wurde ein Fußball mit Autogrammen der Spieler von Fortuna Düsseldorf für 2.200 DM versteigert. Nationaltorwart Toni Turek fungierte als Auktionator.
Nach Abschluss der Weltmeisterschaftsvorrunde führt Max Morlock die Torschützenliste mit sechs Treffern an, die er in den vier Qualifikationsspielen gegen Norwegen und das Saarland erzielt hat. In der Schweiz findet "lediglich" die Endrunde der Weltmeisterschaft statt. In Form eines Turniers.
Dienstag, 6. April 1954
Die Zahl der Sowjetzonenflüchtlinge steigt. Im März waren es über 18 Tausend. Bereits vor vier Jahren setzte sich der heutige Nationalspieler Fritz Laband in den Westen ab. Als Auswahlspieler Mecklenburgs und als Aktiver einer (später so genannten) DDR B-Auswahl fiel er Talentsuchern des HSV auf und ließ sich überzeugen, es im Westen weiter bringen zu können. Was das Jahr 1954 betrifft, hatten sie Recht.
In einem Vorbericht über den ungarischen Fußball, der seit Monaten die Schlagzeilen beherrscht, wird nach Ursachen für den großen Erfolg der seit vier Jahren ungeschlagenen Nationalmannschaft gesucht. Ein wesentlicher Faktor: der Staat plant den Erfolg, Vereine besitzen kein Eigenleben. Ein Kollektiv der 20 besten ungarischen Fußballtrainer bestimmt die Richtlinien für sämtliche Mannschaften bis ins kleinste Dorf. Die Nationalspieler sehen sich regelmäßig, trainieren mehrfach in der Woche zusammen und müssen sich ausschließlich auf den Fußball konzentrieren. Sie führen keinen Existenzkampf - sie sind absolut privilegiert.
Mittwoch, 7. April 1954
Der frühere Nationalspieler Albert Sing wird heute 37 Jahre alt. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet er in der Schweiz bei den Young Boys Bern und ist dort Spieler und Trainer in Personalunion. In diesen Wochen hat er eine ganz besondere Aufgabe: er dient dem Schweizer Fußball-Verband als Kontaktperson für die deutsche Nationalmannschaft und kümmert sich um deren Wünsche. Ehrensache für Sing, der seinem großen Vorbild Sepp Herberger sehr gern zu Diensten ist. Und auch Fritz Walter zuliebe, an dessen Seite er bereits 1942 Länderspiele bestritt, übernimmt Sing diese Sonderaufgaben gern.
Donnerstag, 8. April 1954
Die Mannschaft von Schalke 04 begibt sich heute geschlossen in die Sportschule Kaiserau, um sich für das die Westmeisterschaft mitentscheidende Spiel gegen Rot-Weiß Essen vorzubereiten. Die Mannschaft ist zurzeit mit einem Punkt Rückstand auf den 1. FC Köln Zweiter, und ihr Gegner Essen liegt einen weiteren Punkt dahinter. Wenngleich Köln eine lösbare Aufgabe erwartet, kann Schalke bei günstigem Verlauf noch Oberligameister werden und somit am Kampf um die Deutsche Meisterschaft teilnehmen. Auch als Zweitplatzierter wäre das noch möglich, wenn das Pokalendspiel am 18. April von einem Westverein - den Kölnern - gewonnen würde.
Sepp Herberger gibt heute die 32 Namen der Kandidaten für die bevorstehenden Länderspielen gegen die Schweiz bekannt. Zur feierlichen Einweihung des St-Jakob-Stadions in Basel bekommt die deutsche Auswahl eine letzte Gelegenheit zu einem Punktspiel vor der Weltmeisterschaft gegen einen ernstzunehmenden Gegner. Am Vortag treffen die B-Mannschaften aufeinander, wobei weitere potenzielle WM-Teilnehmer die Möglichkeit bekommen, sich vor Herbergers Augen zu profilieren.
Freitag, 9. April 1954
Noch 24 Stunden bis zum Beginn des FIFA-Juniorenturniers. Neun Wochen, bevor die Senioren aufeinander treffen, liefern sich die Talente von Morgen packende Duelle. Wie bei den Senioren ist die ungarische Mannschaft favorisiert. Drei deutsche Mannschaften nehmen dabei teil: Neben dem Gastgeber Deutschland auch das Saarland und die Sowjetzone. Die Namen der Spieler sind nur einigen Fachleuten ein Begriff, und von einem jungen Hamburger namens Uwe Seeler hat bisher auch kaum jemand gehört...
Sonnabend, 10. April 1954
Der Spielausschuss des DFB vergibt bei seinem Treffen in München-Grünwald das Endspiel um die deutsche Meisterschaft ins Hamburger Volksparkstadion. Die fünf Oberligameister und ein Oberligazweiter werden in zwei Dreiergruppen eingeteilt. Die beiden Sieger der Dreiergruppen werden in Hamburg den deutschen Meister ausspielen.
Zudem soll in diesem Jahr zum ersten Mal eine so genannte Oberligavergleichsrunde ausgeführt werden. Da aus Rücksichtnahme auf die Weltmeisterschaft die Oberligasaison dieses Jahr schon sehr früh beendet ist, bekommen die Vereine in Fünfergruppen, denen je eine Mannschaft der Oberligen Nord, West, Südwest, Süd und Berlin angehören, Gelegenheit, ihre Spielstärke miteinander zu vergleichen. Diese Spiele sollen ab April wöchentlich ausgetragen werden, die jeweiligen Gegner aber erst von Woche zu Woche angesetzt. Die Vereine erhalten somit sichere Einnahmen durch Stadionszuschauer, und die Zuschauer können in den wärmsten Monaten des Jahres, in denen ein Stadionbesuch am meisten Spaß macht, dieser Leidenschaft weiter frönen. Zudem werden sie zur Abwechslung Gegner zu sehen bekommen, die sie bisher noch nicht erlebt haben.
Sonntag, der 11. April 1954
Zwei Oberligameisterschaften werden heute entschieden: in einem echten Südwest-Endspiel besiegt der 1. FC Kaiserslautern den Tabellenführer FK Pirmasens mit 4:0 und setzt sich damit am allerletzten Spieltag an die Spitze. Kaiserslautern hat zwar am Ende nur einen Punkt mehr als Pirmasens aber ein Torverhältnis von 139:33 und ist damit 63 Tore besser als Pirmasens!!! Während der Nationalmannschaftskapitän Fritz Walter eher zurückhaltend agiert und der rechte Außenläufer Horst Eckel zu offensiv, bieten Mittelstürmer Ottmar Walter und Mittelläufer Werner Liebrich starke Vorstellungen.
Schalke 04 hat sein Trainingslager nichts genützt. Es verliert 2:4 gegen Rot-Weiß Essen mit dem nach dem Länderspiel kritisierten Helmut Rahn und wird in der Endabrechnung nur Dritter. Westmeister wird der 1. FC Köln nach einem 2:1-Sieg in Sodingen.
Der HSV schlägt den Nordmeister Hannover 96 am letzten Spieltag mit 2:0 und entschädigt seine Anhänger damit für einen ungewöhnlich schlechten Saisonverlauf. Fritz Laband bietet erneut eine gute Leistung in der Verteidigung. Jupp Posipal hätte nach seiner Verletzung aus den Länderspielen gegen das Saarland noch nicht wieder mitspielen können, pausiert deshalb und ist mit Herberger zur selben Zeit in Wien.
Dort spielen die Nationalmannschaften von Österreich und Ungarn gegeneinander. Das Freundschaftsspiel lässt zwei Favoriten der bevorstehenden Weltmeisterschaft aufeinander treffen. Die Österreicher spielen dabei erstmals mit einem für sie neuen Spielsystem - dem WM-System, bei dem die Außenläufer und die Halbstürmer das sogenannte "Magische Viereck" bilden. (Die drei oberen Spitzen des Buchstaben W sind dabei die Sturmspitzen, die zwei unteren die Halbstürmer, die oberen Spitzen des Buchstaben M die Außenläufer und die unteren zwei Verteidiger mit dem zurückgezogen agierenden Mittelläufer.)
Den Ungarn ist eine starke Nervenbelastung gegen ihren Fußballerzfeind anzumerken. Sie gewinnen mit dem knappsten aller Ergebnisse von 1:0. Die Österreicher beherrschen das WM-System schon überraschend gut. Auf der Tribüne beobachten DFB-Vizepräsident Huber, Bundestrainer Herberger und der Abwehrchef der Nationalmannschaft Jupp Posipal aufmerksam das Spiel und studieren mit den Ungarn ihren zweiten Gegner bei der Weltmeisterschaft. Nach dem Spiel macht der ungarische Trainer Sebes die Bemerkung, er fürchte besonders die deutsche Mannschaft, weil sie in taktischer Hinsicht von allen Teams am gefährlichsten sei. Und ein ungarischer Reporter betont danach, dass er Sebes gut kenne und dessen Worte keine pure Freundlichkeit gewesen seien!
Beim FIFA-Juniorenturnier kommt es zu folgenden Ergebnissen:
Sowjetzone - Frankreich 3:1
Spanien - Jugoslawien 2:0
Irland - Portugal 2:2
Luxemburg - Österreich 3:2
Belgien - Türkei 0:4
Ungarn - England 3:1
Deutschland - Saarland 6:1 (Allein vier Tore schießt Uwe Seeler vom Hamburger SV!)
Chronologie der vorvergangenen Tage TÄGLICHES UPDATE
Sonntag, 28. März 1954
Die Vorzeichen für das heute im Saarbrücker Ludwigsparkstadion stattfindende, entscheidende Qualifikationsspiel gegen das Saarland sind sehr gemischt ausgefallen: Torhüter Toni Turek glänzte vor einer Woche beim 3:1-Sieg seiner Mannschaft, Jupp Posipal verlor mit seinem HSV zum vierten Mal in Folge, Ottmar Walter erzielte beim 6:0 Kaiserslauterns zwei Treffer, Fritz Walter führte dabei hervorragend Regie. Fürth und Stuttgart verloren, Frankfurt und Nürnberg 2:2 spielten unentschieden (Gunter Baumann unterlief dabei ein Eigentor), Rot-Weiß Essen schlug Borussia Dortmund 4:2, und Hans Schäfer (2 Tore) und Jupp Röhrig (1) hatten großen Verdienst am 6:2-Sieg des 1. FC Köln. Aber: der 1. FC Saarbrücken schlug Borussia Neunkirchen mit 6:1, und da die saarländische Nationalmannschaft bis auf einen Spieler komplett von den Saarbrückern gestellt wird, kann man deren Generalprobe durchaus als gelungen bezeichnen.
Am vergangenen Mittwoch war die deutsche B-Auswahl gegen die der Engländer chancenlos. Torhüter Kwiatkowski bekam zwar trotz vier Gegentoren eine tolle Beurteilung, aber die Verteidigung überzeugte wenig. Der Berliner Deinert erwies sich als zu langsam, der Fürther Erhardt erfüllte nur so einigermaßen die Erwartungen, und der Siegener Mannschaftskapitän Herbert Schäfer kämpfte bis zum Umfallen, konnte aber keine volle Wirkung erzielen. Auch vom Sodinger Harpers als Spielmacher erhoffte man sich mehr. Die Deutschen schossen kein einziges Tor!
Die deutsche A-Auswahl verließ am Freitag die Sportschule Hennef und reiste mit dem Zug nach Saarbrücken. Am Samstagabend sah sich die gesamte Truppe zur Zerstreuung im Kino einen "amerikanischen Kriminalreißer" an.
Am Tag seines 57. Geburtstags überrascht Sepp Herberger Fachpresse und Publikum mit folgender Aufstellung: Turek im Tor, Kohlmeyer und Retter in der Verteidigung, Schanko, Liebrich und Posipal in der Läuferreihe, die Kölner Schäfer und Röhrig auf der linken Sturmseite, Fritz Walter auf der ungewohnten Positionen eines Mittelstürmers, sowie Morlock und Rahn auf der rechten Seite. Dass der etatmäßige Mittelläufer Posipal nach außen beordert wird, kommt einem Experiment gleich, in dessen Mittelpunkt der Kaiserslauterer Liebrich steht. Kann er sich auf dem Stopperposten bewähren und die Abwehr stabilisieren?
Die Elf des Saarlandes, die vom früheren deutschen Nationalspieler Helmut Schön betreut wird, tritt in folgender Besetzung an: Strempel; Biewer, Keck; Clemens, Momber, Philippi; Otto, Martin, Binkert, Siedl und Schirra. Außer Clemens, der bei Saar 05 spielt, gehört die gesamte Mannschaft dem 1. FC Saarbrücken an. Der deutsche Gegner ist also perfekt aufeinander eingespielt. Andererseits bildet das Saarland alles andere als einen unbekannten Gegner. Da sie seit 1951 am Spielbetrieb der Oberliga Südwest teilnehmen dürfen, treffen die Saarbrücker regelmäßig auf die Mannschaft von Kaiserslautern.
Die Ausgangsposition: Deutschland führt in der Qualifikationsgruppe und kann mit einem Unentschieden sein Ziel erreichen. Das Saarland muss unbedingt gewinnen, um noch Gruppenerster werden zu können und sich für die Schweiz zu qualifizieren. Und genauso beginnt die Saarelf ihr Spiel, das ab der zweiten Halbzeit abwechselnd von Rudi Michel für den Südwestfunk und Charly Scholz für den Saarländischen Rundfunk im Radio kommentiert wird, und erarbeitet sich mit schwungvollen Angriffen und flüssigen Kombinationen eine Torchance nach der anderen. Mit etwas mehr Glück könnte sie in der ersten Halbzeit mit zwei Toren Vorsprung führen. Die deutsche Abwehr wirkt durchaus anfällig für Gegentore. Lediglich Liebrichs Stopperspiel und Tureks Ruhe verhindern einen Rückstand der deutschen Mannschaft.
Einen großen Schwachpunkt bildet überraschenderweise Fritz Walter, der sich lustlos und unsicher präsentiert. Seine Leistung erinnert an ein Spiel zwei Jahre vorher in Paris, nach dem er sich von der Presse sehr gedemütigt fühlte und schon bereit war, seine Nationalmannschaftskarriere zu beenden. Prompt nimmt ihn Herberger in der 30. Minute vom Feld und schickt dafür seinen Bruder Ottmar auf dessen angestammte Position. Wie zum Beweis für die Richtigkeit dieser Maßnahme fällt sechs Minuten darauf nach einer Flanke von Rahn das 1:0 per Abstauber durch Maxl Morlock. Wenngleich diese Führung unverdient ist, so gibt sie der deutschen Mannschaft doch etwas mehr Sicherheit.
Bereits zwei Minuten vor Fritz Walters Auswechselung musste sich Posipal am Spielfeldrand behandeln lassen. Die Verletzung war nicht tragisch, er konnte weiterspielen, fühlte sich aber offensichtlich auf der Außenläuferposition nicht wohl. Als Ottmar ins Spiel kommt, rutscht Posipal auf die noch ungewohntere halblinke Sturmposition, zum Nachteil des Kölner Duos Röhrig/Schäfer, das nun nicht - wie im Verein gewohnt - den linken Flügel unsicher machen kann. Trotzdem erweist sich die Umstellung als gute Maßnahme, denn in der 48. Minute, kurz nach Wiederanpfiff, trifft Morlock nach Kopfballvorlage von Posipal zum zweiten Mal ins gegnerische Tor.
In der 60. Minute scheint das Spiel vorzeitig entschieden, denn der Saarbrücker Philippi verletzt sich und kann nicht mehr weiterspielen. Da in den Qualifikationsspielen nur in der ersten Halbzeit ausgewechselt werden darf, muss die Saarelf das Spiel in Unterzahl beenden. Wenig später fällt ein Tor durch Ottmar, das aber vom holländischen Schiedsrichter Bronkhorst wegen Abseitsstellung nicht anerkannt wird, wie es in der 17. Minute auch schon den Saarländern "gelungen" ist. In der 69. Minute unterläuft dann dem Dortmunder Schanko ein Handspiel. Der Saarbrücker Halbrechte Martin lässt sich die Chance nicht entgehen und erzielt per Elfmeter den Anschlusstreffer. Nur drei Minuten später gelingt der Saar fast der Ausgleich, und Rudi Michael kommt zu dem entschuldigenden Fazit "Man spielt nicht jeden Tag in Bestform!" Neben Fritz Walter gilt das auch für Helmut Rahn, der auf dem Spielfeld den Eigennutz demonstriert, für den er berüchtigt ist: er dribbelt sich fest, gibt den Ball nicht ab, läuft ins Abseits, suchte alleine den Erfolg.
Immerhin kommt sieben Minuten vor Schluss die Vorarbeit von Rahn, als dem ungeheuer aktiven Schäfer das 3:1 gelingt, und den Deutschen der Sieg nun nicht mehr zu nehmen ist. Die Qualifikation für die Schweiz ist erreicht, aber das Auftreten der Mannschaft macht wenig Hoffnung auf eine Chance, beim Konzert der Großen Aufsehen zu erregen. Die anwesenden Cheftrainer der Ungarn (Sebes) und der Schweiz (Rappan) sind jedenfalls alles Andere als beeindruckt vom Spielvermögen der deutschen Mannschaft.
Trotzdem findet der Abend beim anschließenden Bankett einen freundlichen Ausgang: DFB-Präsident Bauwens zeichnet Fritz Walter auf Grund seines 38. Länderspiels mit dem Silberlorbeer aus. Befürchtet man beim DFB vielleicht, Fritz könnte die Konsequenzen aus dem Spiel ziehen und zurücktreten? Und das zehn Wochen vor der Weltmeisterschaft? Nicht auszudenken.
Noch nicht ganz so weit ist der ebenfalls gescholtene Helmut Rahn, der die nach dem 10. Länderspiel übliche silberne Ehrennadel des DFB entgegennimmt und von seinen Kameraden, wie ebenfalls üblich, zur Feier des Tages den nackten Hintern versohlt bekommt.
Montag, 29. März 1954
Nach der gelungenen Qualifikation der deutschen Mannschaft ist das Teilnehmerfeld für die Weltmeisterschaft der Schweiz bis auf die zweite britische Mannschaft komplett. In der Qualifikationsgruppe führt England. Schottland und Wales treffen noch aufeinander.
England ist bereits qualifiziert. Offen ist, ob sich Schottland oder Wales als zweites britisches Team qualifizieren können, und wer am Ende der Vorrunde Erster sein wird.
Der 81-jährige Präsident der FIFA, Jules Rimet, will im Juni von seinem Posten zurücktreten. Rimet ist der Mann, auf dessen Initiative hin seit 1930 überhaupt Fußballweltmeisterschaften stattfinden. Eine Ära neigt sich dem Ende zu.
Nicht nur die Kölner Rundschau ist der Meinung, dass Hans Schäfer gegen das Saarland der beste deutsche Angreifer war. Und Werner Liebrich hat in seinem dritten Länderspiel überhaupt mit Nachdruck bewiesen, dass er durchaus eine ernstzunehmende Alternative zu Posipal bildet. Herberger seinerseits ist froh, über einen Verteidiger wie den Stuttgarter Erich Retter zu verfügen, der sich in den letzten zwei Jahren zu einer unverzichtbaren Größe in der Nationalmannschaft entwickelt hat. Wenn Jemand neben Fritz Walter und Jupp Posipal eine Stammplatzgarantie hat, dann der Stuttgarter.
Dienstag, 30. März 1954
Jules Rimet dankt dem DFB in einem mehrsprachigen Geleitwort für die bevorstehende Ausrichtung des FIFA Jugendturniers. Zwischen dem 10. und dem 19. April werden sich 18 Mannschaften aus der ganzen Welt in einem Dutzend deutscher Städte miteinander messen. Das Turnier findet jedes Jahr statt. 1953 hieß der Sieger Ungarn.
In Caracas, der Hauptstadt von Venezuela, beschließen die südamerikanischen Fußballverbände, den geplanten Kontinentalvergleich Europa gegen Südamerika nicht wie geplant am 6. Juni, sondern erst nach der Weltmeisterschaft in der Schweiz stattfinden zu lassen. Ein entsprechender Antrag befindet sich auf dem Weg zur FIFA. Die Motivation ist unklar, jedoch würde so ein Spiel vermutlich keine zuverlässige Aussage über die Stärken der jeweiligen Mannschaften zulassen, da sich zehn Tage vor Weltmeisterschaftsbeginn Niemand mehr eine Verletzung riskieren wird.
Mittwoch, 31. März 1954
In Wrexham schlägt die Nationalmannschaft Nordirlands die von Wales mit 2:1 (1:0). Nordirland feiert damit seinen ersten Sieg in der Qualifikationsgruppe 3 und wirft Wales aus dem Rennen. Profitieren tut davon Schottland, das nun als zweiter britischer Teilnehmer feststeht. Das Spitzenspiel um die endgültige Platzierung in der britischen Runde steigt am kommenden Sonnabend zwischen England und Schottland.
Donnerstag, 1. April 1954
Vom Fußball gibt es heute keine Neuigkeiten, aber vier Tagen nach dem Bruderkampf Deutschland/Saarland kommen die deutsch-französischen Verhandlungen über das Schicksal dieser Region wieder in Gang. Französische Eingemeindung oder Autonomie? Ein 12-Punkte Programm wird erwartet.
Freitag, 2. April 1954
Der Schweizer Fußball-Verband will dem Saarland ein Freundschaftsspiel gegen den amtierenden Weltmeister Uruguay vermitteln. Die Uruguayer werden im Vorfeld der Weltmeisterschaft einige Vorbereitungsspiele in Europa austragen. Der Schweizer Fußball-Verband bemüht sich, seinen Gastgeberpflichten nachzukommen und den Uruguayern im Vorfeld behilflich zu sein.
Sonnabend, 3. April 1954
In einem vorgezogenen Spiel der Oberliga Nord verliert Werder Bremen gegen den FC St. Pauli mit 0:1. Üblicherweise finden die Spiele sonntags statt.
Zum hundertsten Mal steigt der Ruderwettbewerb zwischen Oxford und Cambridge. Oxford siegt überraschend mit viereinhalb Längen. Das hat nichts mit Fußball zu tun, aber damit wären wir auf der Insel, wo im letzten Spiel der Gruppe 3 England Schottland mit 4:2 (1:1) schlägt, womit England sämtliche Qualifikationsspiele seiner Gruppe gewonnen hat. Endlich stehen alle 16 Teilnehmer der Weltmeisterschaft in der Schweiz fest.
Sonntag, 4. April 1954
Durch einen 2:0-Sieg gegen Waldhof Mannheim wird der VfB Stuttgart mit Erich Retter Meister der Oberliga Süd. Auf den zweiten Platz landet Eintracht Frankfurt mit Alfred Pfaff und Hans Weilbächer (nach einem 2:0-Sieg in Regensburg) vor Kickers Offenbach, dessen 6:2 in Aschaffenburg keine Bedeutung mehr hat. Maxl Morlocks 1. FC Nürnberg landet trotz eines 4:1 gegen Gala Metzners Hessen Kassel mit fünf Punkten Rückstand auf dem 4. Platz.
Des weiteren: BC Augsburg - Stuttgarter Kickers 5:0 (ohne ein Tor von Mittelstürmer Biesinger). In der Oberliga West schlägt der 1. FC Köln Preußen Münster mit 8:1, Borussia Dortmund verliert gegen Schalke 04 mit 3:4, Fortuna Düsseldorf unterliegt Rot-Weiß Essen mit 0:2, und der SV Sodingen schlägt Rheydt mit 2:0. Im Norden verliert Hannover 96 gegen Osnabrück mit 1:2, Bremer SV - HSV 1:0 (Hamburg spielt mit Laband, aber Posipal ist doch noch vom Länderspiel verletzt), und in der Oberliga Südwest siegt der Tabellenführer FK Pirmasens um den Nationalmannschaftskandidaten Heinz Kubsch gegen den 1. FC Saarbrücken mit 3:2, Vorjahresmeister 1. FC Kaiserslautern deklassiert nicht nur wegen seiner fünf Nationalspieler Tura Ludwigshafen mit 9:0 und TuS Neuendorf gewinnt gegen Wormatia Worms 5:2.
Der Weltmeisterschaftsteilnehmer Belgien befindet sich in Frühform und gewinnt ein Freundschaftsspiel gegen das nicht qualifizierte Holland mit 4:0.
Montag, 5. April 1954
In Cannes wird von acht Vertretern europäischen Nationen beschlossen, neun Weltmeisterschaftsspiele im Fernsehfunk zu übertragen, darunter auch die Begegnung Ungarn gegen Deutschland. In Deutschland sind zu Jahresbeginn 10.000 Geräte registriert. Durch die Live-Übertragungen bei der Weltmeisterschaft wird sich diese Zahl verachtfachen, und noch vor dem Finale werden sämtliche lieferbaren Apparate ausverkauft sein!
Der "Kicker" macht sich rückblickend Sorgen um die deutsche Abwehrschwäche. Sollte man die traditionellen Läufer Posipal und Mebus zu Verteidigern umschulen? Im Hinblick auf Posipal klingt dieser Vorschlag geradezu prophetisch.
Ebenfalls heute im "Kicker" liest man die folgende Nachricht: Im Rahmen einer Fernsehauktion zu Gunsten der Spätheimkehrer wurde ein Fußball mit Autogrammen der Spieler von Fortuna Düsseldorf für 2.200 DM versteigert. Nationaltorwart Toni Turek fungierte als Auktionator.
Nach Abschluss der Weltmeisterschaftsvorrunde führt Max Morlock die Torschützenliste mit sechs Treffern an, die er in den vier Qualifikationsspielen gegen Norwegen und das Saarland erzielt hat. In der Schweiz findet "lediglich" die Endrunde der Weltmeisterschaft statt. In Form eines Turniers.
Dienstag, 6. April 1954
Die Zahl der Sowjetzonenflüchtlinge steigt. Im März waren es über 18 Tausend. Bereits vor vier Jahren setzte sich der heutige Nationalspieler Fritz Laband in den Westen ab. Als Auswahlspieler Mecklenburgs und als Aktiver einer (später so genannten) DDR B-Auswahl fiel er Talentsuchern des HSV auf und ließ sich überzeugen, es im Westen weiter bringen zu können. Was das Jahr 1954 betrifft, hatten sie Recht.
In einem Vorbericht über den ungarischen Fußball, der seit Monaten die Schlagzeilen beherrscht, wird nach Ursachen für den großen Erfolg der seit vier Jahren ungeschlagenen Nationalmannschaft gesucht. Ein wesentlicher Faktor: der Staat plant den Erfolg, Vereine besitzen kein Eigenleben. Ein Kollektiv der 20 besten ungarischen Fußballtrainer bestimmt die Richtlinien für sämtliche Mannschaften bis ins kleinste Dorf. Die Nationalspieler sehen sich regelmäßig, trainieren mehrfach in der Woche zusammen und müssen sich ausschließlich auf den Fußball konzentrieren. Sie führen keinen Existenzkampf - sie sind absolut privilegiert.
Mittwoch, 7. April 1954
Der frühere Nationalspieler Albert Sing wird heute 37 Jahre alt. Seit einigen Jahren lebt und arbeitet er in der Schweiz bei den Young Boys Bern und ist dort Spieler und Trainer in Personalunion. In diesen Wochen hat er eine ganz besondere Aufgabe: er dient dem Schweizer Fußball-Verband als Kontaktperson für die deutsche Nationalmannschaft und kümmert sich um deren Wünsche. Ehrensache für Sing, der seinem großen Vorbild Sepp Herberger sehr gern zu Diensten ist. Und auch Fritz Walter zuliebe, an dessen Seite er bereits 1942 Länderspiele bestritt, übernimmt Sing diese Sonderaufgaben gern.
Donnerstag, 8. April 1954
Die Mannschaft von Schalke 04 begibt sich heute geschlossen in die Sportschule Kaiserau, um sich für das die Westmeisterschaft mitentscheidende Spiel gegen Rot-Weiß Essen vorzubereiten. Die Mannschaft ist zurzeit mit einem Punkt Rückstand auf den 1. FC Köln Zweiter, und ihr Gegner Essen liegt einen weiteren Punkt dahinter. Wenngleich Köln eine lösbare Aufgabe erwartet, kann Schalke bei günstigem Verlauf noch Oberligameister werden und somit am Kampf um die Deutsche Meisterschaft teilnehmen. Auch als Zweitplatzierter wäre das noch möglich, wenn das Pokalendspiel am 18. April von einem Westverein - den Kölnern - gewonnen würde.
Sepp Herberger gibt heute die 32 Namen der Kandidaten für die bevorstehenden Länderspielen gegen die Schweiz bekannt. Zur feierlichen Einweihung des St-Jakob-Stadions in Basel bekommt die deutsche Auswahl eine letzte Gelegenheit zu einem Punktspiel vor der Weltmeisterschaft gegen einen ernstzunehmenden Gegner. Am Vortag treffen die B-Mannschaften aufeinander, wobei weitere potenzielle WM-Teilnehmer die Möglichkeit bekommen, sich vor Herbergers Augen zu profilieren.
Freitag, 9. April 1954
Noch 24 Stunden bis zum Beginn des FIFA-Juniorenturniers. Neun Wochen, bevor die Senioren aufeinander treffen, liefern sich die Talente von Morgen packende Duelle. Wie bei den Senioren ist die ungarische Mannschaft favorisiert. Drei deutsche Mannschaften nehmen dabei teil: Neben dem Gastgeber Deutschland auch das Saarland und die Sowjetzone. Die Namen der Spieler sind nur einigen Fachleuten ein Begriff, und von einem jungen Hamburger namens Uwe Seeler hat bisher auch kaum jemand gehört...
Sonnabend, 10. April 1954
Der Spielausschuss des DFB vergibt bei seinem Treffen in München-Grünwald das Endspiel um die deutsche Meisterschaft ins Hamburger Volksparkstadion. Die fünf Oberligameister und ein Oberligazweiter werden in zwei Dreiergruppen eingeteilt. Die beiden Sieger der Dreiergruppen werden in Hamburg den deutschen Meister ausspielen.
Zudem soll in diesem Jahr zum ersten Mal eine so genannte Oberligavergleichsrunde ausgeführt werden. Da aus Rücksichtnahme auf die Weltmeisterschaft die Oberligasaison dieses Jahr schon sehr früh beendet ist, bekommen die Vereine in Fünfergruppen, denen je eine Mannschaft der Oberligen Nord, West, Südwest, Süd und Berlin angehören, Gelegenheit, ihre Spielstärke miteinander zu vergleichen. Diese Spiele sollen ab April wöchentlich ausgetragen werden, die jeweiligen Gegner aber erst von Woche zu Woche angesetzt. Die Vereine erhalten somit sichere Einnahmen durch Stadionszuschauer, und die Zuschauer können in den wärmsten Monaten des Jahres, in denen ein Stadionbesuch am meisten Spaß macht, dieser Leidenschaft weiter frönen. Zudem werden sie zur Abwechslung Gegner zu sehen bekommen, die sie bisher noch nicht erlebt haben.
Sonntag, der 11. April 1954
Zwei Oberligameisterschaften werden heute entschieden: in einem echten Südwest-Endspiel besiegt der 1. FC Kaiserslautern den Tabellenführer FK Pirmasens mit 4:0 und setzt sich damit am allerletzten Spieltag an die Spitze. Kaiserslautern hat zwar am Ende nur einen Punkt mehr als Pirmasens aber ein Torverhältnis von 139:33 und ist damit 63 Tore besser als Pirmasens!!! Während der Nationalmannschaftskapitän Fritz Walter eher zurückhaltend agiert und der rechte Außenläufer Horst Eckel zu offensiv, bieten Mittelstürmer Ottmar Walter und Mittelläufer Werner Liebrich starke Vorstellungen.
Schalke 04 hat sein Trainingslager nichts genützt. Es verliert 2:4 gegen Rot-Weiß Essen mit dem nach dem Länderspiel kritisierten Helmut Rahn und wird in der Endabrechnung nur Dritter. Westmeister wird der 1. FC Köln nach einem 2:1-Sieg in Sodingen.
Der HSV schlägt den Nordmeister Hannover 96 am letzten Spieltag mit 2:0 und entschädigt seine Anhänger damit für einen ungewöhnlich schlechten Saisonverlauf. Fritz Laband bietet erneut eine gute Leistung in der Verteidigung. Jupp Posipal hätte nach seiner Verletzung aus den Länderspielen gegen das Saarland noch nicht wieder mitspielen können, pausiert deshalb und ist mit Herberger zur selben Zeit in Wien.
Dort spielen die Nationalmannschaften von Österreich und Ungarn gegeneinander. Das Freundschaftsspiel lässt zwei Favoriten der bevorstehenden Weltmeisterschaft aufeinander treffen. Die Österreicher spielen dabei erstmals mit einem für sie neuen Spielsystem - dem WM-System, bei dem die Außenläufer und die Halbstürmer das sogenannte "Magische Viereck" bilden. (Die drei oberen Spitzen des Buchstaben W sind dabei die Sturmspitzen, die zwei unteren die Halbstürmer, die oberen Spitzen des Buchstaben M die Außenläufer und die unteren zwei Verteidiger mit dem zurückgezogen agierenden Mittelläufer.)
Den Ungarn ist eine starke Nervenbelastung gegen ihren Fußballerzfeind anzumerken. Sie gewinnen mit dem knappsten aller Ergebnisse von 1:0. Die Österreicher beherrschen das WM-System schon überraschend gut. Auf der Tribüne beobachten DFB-Vizepräsident Huber, Bundestrainer Herberger und der Abwehrchef der Nationalmannschaft Jupp Posipal aufmerksam das Spiel und studieren mit den Ungarn ihren zweiten Gegner bei der Weltmeisterschaft. Nach dem Spiel macht der ungarische Trainer Sebes die Bemerkung, er fürchte besonders die deutsche Mannschaft, weil sie in taktischer Hinsicht von allen Teams am gefährlichsten sei. Und ein ungarischer Reporter betont danach, dass er Sebes gut kenne und dessen Worte keine pure Freundlichkeit gewesen seien!
Beim FIFA-Juniorenturnier kommt es zu folgenden Ergebnissen:
Sowjetzone - Frankreich 3:1
Spanien - Jugoslawien 2:0
Irland - Portugal 2:2
Luxemburg - Österreich 3:2
Belgien - Türkei 0:4
Ungarn - England 3:1
Deutschland - Saarland 6:1 (Allein vier Tore schießt Uwe Seeler vom Hamburger SV!)
Montag, 12. April 1954
Im Rahmen des FIFA-Juniorenturniers besiegt Deutschland die Mannschaft von Nordirland in Bonn mit 6:1. Erneut hat Uwe Seeler entscheidenden Anteil am klaren Erfolg seines Teams. Desweiteren unterliegt die Schweiz der Türkei mit 0:1, und Holland unterliegt Argentinien mit 0:8.
Laut dem "kicker" sind die Tribünenkarten für die deutschen WM-Vorrundenspiele gegen die Türkei und Ungarn bereits ausverkauft. Für das erste Spiel sollen noch ungedeckte Sitzplätze existieren, gegen die Ungarn sogar nur noch Stehplätze.
Dienstag, 13. April 1954
Weiterhin bestimmen die täglichen Spiele der Juniorenauswahlmannschaften die Fußballnachrichten: Ungarn - Nordirland 7:2, Saarland - England 1:1, Luxemburg - Schweiz 0:0, Belgien - Österreich 3:2, Spanien - Irland 3:1 und Jugoslawien - Portugal 1:1.
Die Schweiz gibt heute ihr Aufgebot für das bevorstehende Länderspiel gegen Deutschland bekannt.
Und der DFB-Präsident Peco Bauwens kandidiert für vier von Europa zu besetzende Sitze im FIFA-Ausschuss.
Mittwoch, 14. April 1954
In Lausanne tagt die FIFA und beschließt eine Statusänderung für die Mannschaft der Türkei, was aber ohne Auswirkung für die Gruppeneinteilung in der Schweiz bleibt: Nachdem das im voraus gesetzte Spanien gegen die Türkei durch Losentscheid ausgeschieden war, hatten die qualifizierten Türken den "Gesetzt"-Status "geerbt", mit dem Vorteil, im Gegensatz zu den Mannschaften aus Deutschland und Südkorea nicht gegen die Ungarn antreten zu müssen. Nach kritischen Reaktionen aus Deutschland, wo man sich im Hinblick auf die Spielstärke der Türkei als ebenbürtig betrachtet, beschließt die FIFA, der Türkei zwar das Attribut "gesetzt" zu nehmen, ihr aber weiterhin die für Spanien vorgesehenen Gruppengegner zuzuteilen, was eine im Endeffekt wirkungslose Änderung bedeutet.
Die Anreise besagter Südkoreaner in die Schweiz verschlingt mit 140 Tausend SFR fast 10 % vom 1,6 Millionen hohen Gesamtbudget. Für sämtliche teilnehmende Nationen sind pro Spieler und Tag generell 40 SFR kalkuliert.
Vor 17.000 Zuschauern gelingt den deutschen Junioren eine kleine Sensation, die im Hinblick auf die kommende "Senioren"-WM als prophetisch gelten darf: die wegen ihrer Eigenschaft als Titelverteidiger favorisierten Ungarn unterliegen den Deutschen mit 0:2 - Uwe Seeler erzielt dieses Mal ein Tor.
Ferner spielen Luxemburg - Türkei 1:2, Spanien - Portugal 6:0, Jugoslawien - Irland 2:1, Holland - Frankreich 2:2 ... und in Aachen ereignet sich ein Skandal: nach Beendigung des Spiels Argentinien - Sowjetzone, das 2:0 ausgeht, protestiert der Verlierer telefonisch gegen die Wertung, da sich der argentinische Mittelstürmer in 88. Minute nach einem Foul seinem Platzverweis widersetzte.
Der 1. FC Köln mit seinen Nationalspielern Schäfer, Röhrig und Mebus tritt bereits heute die Reise in die Pfalz an, um sich in der Nähe von Ludwigshafen auf das bevorstehende Pokal-Endspiel vorzubereiten.
Donnerstag, 15. April 1954
In Gelsenkirchen trumpfen die deutschen Junioren vor 20 Tausend Zuschauern weiterhin auf: dank zwei Seeler-Toren gelingt gegen England ein 2:2-Unentschieden. Auch das Saarland zeigt Stärke und bezwingt Nordirland mit 2:1; Belgien - Schweiz 2:1, Österreich - Türkei 0:0, Argentinien - Frankreich 3:1, und in Herzogenrath trennen sich Holland und die Sowjetzone 1:1. Nach diesen letzten Vorrundenspielen stehen die vier Gruppensieger fest, die um den Einzug ins Finale kämpfen werden: Es sind Argentinien, Spanien, Türkei und Deutschland.
Karfreitag, 16. April 1954
In einem Freundschaftsspiel kommt es zum Gipfeltreffen der Nationalmannschaftskandidaten: der HSV unterliegt dabei dem 1.FC Nürnberg mit 3:4 - die Hamburger Laband und Posipal kriegen die fränkischen Angreifer nicht in den Griff und kassieren zwei Treffer von Schade und einen von Morlock. Posipal setzt mit einem verwandelten Elfmeter den Schlußpunkt.
An diesem Wochenende kommt es auch zu einigen deutsch-deutschen Vergleichsspielen. Unter anderem trennen sich Turbine Halle und Richard Herrmanns FSV Frankfurt 1:1 unentschieden.
Ostersamstag, 17. April 1954
Sehr unösterlich verläuft die erste von zwei Begegnungen zwischen österreichischen und ungarischen Vereinsmannschaften, die aufgrund der hohen Nationalspielerdichte einen Vorgeschmack auf die Qualität der bevorstehenden Weltmeisterschaftsspiele versprechen. In der Begegnung Rapid Wien - Honved Budapest, die die Österreicher mit 2:1 gewinnen, kommt es zu vier Hinausstellungen. Zwei Verletzte müssen ins Spital eingeliefert werden. Die zweite Begegnung zwischen Vörös Lobogo Budapest und Austria Wien verläuft friedlicher. Auch hier gewinnt die Heimmannschaft mit 2:1 - der ungarische Nationalmittelstürmer Hidegkuti avanciert dabei mit zwei Toren zum Matchwinner.
Der FSV Frankfurt erreicht mit Rotation Babelsberg erneut gegen eine ostdeutsche Mannschaft ein Unentschieden. Beim 3:3 ist Herrmann auf der ungewohnten Position als Mittelstürmer bester Mann.
In den Vorschluß- und Trostrundenbegegnungen der Junioren-WM kommt es zu folgenden Ergebnissen: in Gelsenkirchen zieht vor erneut 40 Tausend Zuschauern die deutsche Mannschaft durch ein 2:1 gegen die Türkei ins Finale ein, wo sie auf Spanien treffen wird, das in Wuppertal Argentinien mit 1:0 bezwingt. Die Sowjetzone unterliegt Jugoslawien mit 1:3, das gleiche passiert Belgien gegen Ungarn, Holland besiegt Portugal mit 4:2, Luxemburg überrascht durch ein 2:0 gegen England, Frankreich schlägt Irland 2:0, und Österreich muss sich dem Saarland mit 0:2 geschlagen geben.
Ostersonntag, 18. April 1954
Das deutsche Pokalendspiel in Ludwigshafen zwischen dem VfB Stuttgart und dem 1. FC Köln endet mit 1:0 - nur Paul Mebus für die Domstädter und auf der Gegenseite Erich Retter überzeugen dabei mit guten Leistungen. Da dieser Titel also an den Meister der Oberliga Süd wandert, darf der Süd-Zweite - Eintracht Frankfurt - mit um die Deutsche Meisterschaft kämpfen. Angesichts dieses nun vollständigen Starterfeldes, legt der Spielausschuss die folgenden Dreiergruppen fest: Südwestmeister 1. FC Kaiserslautern darf sich dabei mit ebendiesen Frankfurtern und dem Westmeister 1. FC Köln messen. Der Berliner Meister BSV 92 trifft auf den Nordmeister Hannover 96 und den Südmeister VfB Stuttgart. Normalerweise wird auf neutralem Boden gespielt. Dass die Begegnungen der Berliner auch IN Berlin stattfinden dürfen, findet das Einverständnis der Niedersachsen und der Schwaben.
Zur Überbrückung der punktspiellosen Zeit startet die Oberliga-Vergleichsrunde. Dabei interessieren uns Mannschaften, in denen potentielle WM-Teilnehmer beschäftigt sind:
Werder Bremen - 1. FC Nürnberg 2:3 (das Nürnberger Siegtor erzielt Morlock),
Eintracht Braunschweig - SpVgg. Fürth 5:1 (trotz der Niederlage gibt es Lob für die Fürther Mai und Gottinger), Arminia Hannover - Borussia Dortmund 1:3 (Schanko befindet sich außer Form), Bremerhaven 93 - Tennis Borussia Berlin 1:2 (Deinert spielt herausragend).
Zudem unterliegt beim Osterturnier in Antwerpen Schalke 04 einer einheimischen Stadtauswahl mit 1:2, Hessen Kassel besiegt als 13. der Oberliga Süd den Berliner Meister BSV 92 1:0, Toni Tureks großartige Paraden können ein 1:2 von Fortuna Düsseldorf gegen FC Sao Paulo nicht verhindern, und Hannover 96 schlägt den 1. FC Nürnberg, für den mit Schade und Baumann (per Elfmeter) zwei Nationalspieler Treffer erzielen.
Die Trostrundenspiele des FIFA-Juniorenturniers führen in der Endabrechnung zu einem 13. Platz von 18 Mannschaften für das Saarland, die Sowjetzone erringt den siebten Rang, Ungarn wird Fünfter.
Ostermontag, 19. April 1954
Der Kaiserslauterer Nationalspieler Werner Kohlmeyer, genannt "Kohli", feiert heute seinen 30. Geburtstag. Er ahnt noch nicht, dass er am kommenden Wochenende die Besonderheit erleben wird, an zwei Tagen hintereinander eingewechselt zu werden und somit binnen 24 Stunden ein B- und ein A-Länderspiel zu absolvieren.
Die Welle internationaler Oster-Freundschaftsspiele endet u.a. mit einem 3:1 von Schalke 04 gegen das aus Brasilien stammende Team vom FC Bangu beim Kampf um Platz 3 in Antwerpen. Nationalrechtsaußen Berni Klodt erzielt dabei sowohl das 1:0 als auch das 3:1 zum Endstand. Der HSV schlägt (mit Fritz Laband und Jupp Posipal) den mit der saarländischen Nationalmannschaft fast identischen 1. FC Saarbrücken 2:0 und deutet nach einer verkorksten Saison einen Aufwärtstrend an. Eintracht Frankfurt bezwingt Vienna Wien mit 2:1 (1:1 durch Kreß), der BC Augsburg schlägt (wieder ohne ein Biesinger-Tor) Austria Salzburg 5:3, Heinz Kubsch sichert dank starker Fußabwehr seinem FK Pirmasens beim Zweitligisten FC Freiburg ein 2:2, Rot-Weiss Essen bezwingt beim Osterturnier in Lüttich Borussia Neunkirchen mit 3:2, und in Wien verläuft ein erneutes österreich-ungarisches Gipfeltreffen diesmal skandalfrei und ... einseitig: Gastgeber Austria Wien verliert gegen Honved Budapest 1:5 - die Nationalspieler Czibor und Kocsis erzielen je 2 Tore, Puskas trifft per Elfmeter. Der Wiener "Stoissi" Stojaspal verwandelt ebenfalls einen Strafstoß zum Ehrentreffer (verschießt allerdings einen weiteren). Zudem trennen sich Rapid Wien und Flamengo Rio de Janeiro 2:2, und genauso endet das Münchener Derby zwischen dem FC Bayern und dem TSV 1860.
Schließlich findet auch das FIFA-Juniorenturnier mit zwei Begegnungen in Köln ein Ende: Argentinien erkämpft sich gegen die Türkei mit einem 1:0-Sieg den 3. Platz. Das anschließende Finale zwischen Deutschland und Spanien endet 2:2 nach Verlängerung. Das sehr willkürlich anmutende Reglement sieht für diesen Fall vor, dass das 1:0 der Spanier aus dem Halbfinale höher einzustufen ist als das 2:1 der Deutschen und kürt sie damit zum Gewinner. Trotzdem ist der Erfolg der Junioren höchst bemerkenswert und von Niemandem erwartet worden. Rückschlüsse auf die Spielstärken der "erwachsenen" Nationalmannschaften könnten trügerisch sein, denn die kommenden WM-Gegner Türkei (4. Platz) und Ungarn (5.Platz) wären somit bezwingbar. Allerdings haben die Teams von Spanien (Erster) und Argentinien (Dritter) es gar nicht erst bis in die Schweiz geschafft! Vielleicht, weil ihre Zukunft in diesen Junioren steckt?
Dienstag, 20. April 1954
Im "kicker" werden die Mannschaftsaufstellungen in den A- und B-Länderspielen am kommenden Wochenende spekuliert: Im letzten Testspiel vor der Weltmeisterschaft gegen die Schweiz kann Herberger noch einmal experimentieren, bekommen die weniger profilierten Kandidaten vielleicht die letzte Gelegenheit, gegen die Schweizer B-Elf ihre Unentbehrlichkeit zu demonstrieren. Erhält Turek eine Pause? Dürfen Herkenrath, Kubsch oder Kwiatkowski an seiner Stelle das Tor hüten? Wird Herrmann zur Abwechslung auf dem rechten Flügel eingesetzt werden? Debütiert der Hamburger Fritz Laband? Zudem ist der Kölner Jupp Röhrig verletzt - für ihn sollen der Sodinger Harpers oder der HSVer Meinke spielen. Und der Essener Gerritzen für den Schalker Klodt. Die Grenzen zwischen A- und B-Auswahl sind dabei fließend. Vieles ist möglich!
Übrigens wird der ungarische Nationaltrainer Sebes zitiert, er betrachte die Niederlage seiner Junioren gegen Deutschland als ernste Warnung!
Mittwoch, 21. April 1954
Ohne Rücksicht auf die Terminplanung der Nationalmannschaft hat der Präsident von Rot-Weiss Essen eine zweimonatige Südamerikatournee seiner Mannschaft vereinbart. Bestimmt ein einzigartiges Erlebnis für jeden Einzelnen, aber auch eine Fußballweltmeisterschaft darf durchaus als etwas Besonderes betrachtet werden. Mit Torhüter Herkenrath, Mittelläufer Wewers, und den drei Stürmern Rahn, Termath und Islacker sind immerhin fünf Essener im aktuellen Nationalmannschaftskader zu vermuten. Die erste Reisegruppe von Rot-Weiss beginnt ihren Flug um die halbe Welt heute mit Zwischenlandungen in Paris und Madrid. Aber was bedeutet das für Herbergers Planung und die Karrieren der fünf Genannten?
Donnerstag, 22. April 1954
Die zweite Reisegruppe von Rot-Weiss Essen startet heute um 8 Uhr 45 am Düsseldorfer Flughafen ihre Südamerikatournee, auch, weil nach der Niederlage der Kölner im Pokalendspiel kein zweiter Westvertreter in die Endrunde um die Deutsche Meisterschaft eingreifen kann. Die Expedition ist (samt Arzt, Dolmetscher und Betreuern) insgesamt 25 Mann stark. Ab Frankfurt bringt sie eine Super-Constellation nach Buenos Aires. Dank Zwischenlandungen in Lissabon, Dakar und Rio de Janeiro wird man 42 Stunden unterwegs sein.
Die Mehrzahl der für das Wochenende geladenen deutschen Nationalspieler bezieht heute ihr Quartier in der Sportschule Schöneck. Das Beisammensein beginnt mit einem gemeinsamen Kinobesuch, Abendessen und kurzem, taktischen Unterricht.
Freitag, 23. April 1954
Maxl Morlock, Fritz und Ottmar Walter treffen erst heute in der Sportschule Schöneck ein, wo sich die A- und die B-Auswahl auf die beiden Länderspiele gegen die Schweiz vorbereiten. Inzwischen ist entschieden, dass der Dortmunder Kwiatkowski für die B-Auswahl im Tor stehen soll, während der Neu-Pirmasenser Kubsch sein Debüt in der A-Auswahl feiern wird. Gegen die berüchtigte Schweizer "Riegel"-Technik, eine sehr defensive Spielweise, werden sich die deutschen Angreifer Einiges einfallen lassen müssen.
Samstag, 24. April 1954
In Offenburg trifft heute vor 25.000 Zuschauern die deutsche B-Nationalmannschaft auf die der Schweiz. In der Besetzung Kwiatkowski; Liebrich, Bauer; Mebus (Kapitän), Hutfles, Meinke; Klodt, Metzner, Biesinger, Wade und Pfaff kann bis zur Halbzeit ein 0:0 gehalten werden. Allerdings muss Bauer, der mit einem bandagierten Oberschenkel ins Spiel geht, nach vier Minuten bereits durch Kohlmeyer ersetzt werden. Das Spiel verläuft bis dahin unspektakulär. Die Deutschen vertändeln sich umständlich im Mittelfeld, und die Schweizer können bei ihren wenigen Angriffen Kwiatkowski nicht überwinden, der mit selten gesehener Reaktionsschnelligkeit sein Tor sauber hält.
In der zweiten Halbzeit wechselt Trainer Hennes Weisweiler Harpers für den HSVer Meinke und den Münsteraner Gerritzen für Metzner ein, der Sturm wird umgestellt, und prompt gelingt Pfaff nach Doppelpass mit Biesinger in der 66.Minute der deutsche Führungstreffer. Doch nur sechs Minuten später gleicht Hügi II. nach einer Dreieckskombination aus, und weitere sieben Minuten später gehen die Eidgenossen durch Riva in Führung. Erst in der letzten Spielminute fällt das spielentscheidende 3:1 durch einen Heber von Morand.
Trotz der Niederlage gibt es danach Lob für Kwiatkowskis Reaktionsschnelligkeit, Kohlmeyers Annäherung an seine alte Form, Klodts hohe, internationale Klasse und Liebrichs Fertigkeiten als Zerstörer gegnerischer Angriffe. Auch Harpers beeindruckte diesmal mit rasanten Sturmläufen, gefährlichen Schüssen und zweckmäßigem Spiel. Andererseits fiel (trotz seines Tores) erneut Pfaffs "Einbeinigkeit" auf, mit der er sich in seinen Ansprüchen hinter Fritz Walter und dem Kölner Röhrig anstellen muss, Metzner agierte unsicher, und Biesinger, der ein geborener Reißer ist, haderte noch mit dem Kombinationsspiel.
Das Bankett nach dem Spiel im Offenburger Hotel "Zur neuen Pfalz" wartete mit folgender Speisenfolge auf: Königinsuppe; Schwarzwaldforelle blau in zerlassener Butter; Filetbeefsteak; Erbsen, Karotten, Bohnen; Pommes Frites; Charlotte à la Russe auf Löffelbiskuits; Weine des Landes.
Sonntag, 25. April 1954
Beim A-Länderspiel gegen die Schweiz im bislang unbespielten, also niegelnagelneuen Baseler St. Jakob-Stadion gelingt der deutschen Auswahl vor 48.000 Zuschauern ein 5:3-Sieg. Herbergers Team spielt dabei mit Kubsch im Tor, Laband und Kohlmeyer (der ab der 15. Minute den verletzten Retter ersetzt) in der Abwehr, Eckel, Posipal und Mai in der Läuferreihe, und Herrmann, Morlock, Ottmar Walter, Fritz Walter und Schäfer im Angriff.
Nach furiosem Schweizer Start, der dank Kubsch und Posipal ohne Torerfolg bleibt, erzielt Schäfer in der 5. Minute nach einem von Eckel verlängerten Einwurf mit einem gewaltigen Schuss unter die Latte das 1:0 für Deutschland. Zehn Minuten später verletzt sich Retter. Der Debütant Laband wechselt auf die rechte Verteidigerposition, und Kohlmeyer darf wie am Vortag schon wieder ein Spiel bestreiten. Eine Minute darauf trifft Fritz Walter per Freistoß, den er elegant über die Mauer hebt, zum 2:0, nach einer halben Stunde köpft Morlock das 3:0, und nachdem der darauf folgende Schweizer Anstoß bereits am Mittelkreis abgefangen worden ist, erzielt Schäfer von der Strafraumgrenze aus das 4:0!
In der Halbzeitpause müssen sich die Schweizer Spieler einiges vorgenommen haben, denn sie beginnen einen machtvollen Sturmlauf, der in der 58. Minute durch Fattons Anschlusstreffer belohnt wird. Klodt wird in der 67. Minute für Herrmann eingewechselt, dem es an Selbstvertrauen zu fehlen scheint, und fünf Minuten darauf macht der Schweizer Ballamann seinem Namen Ehre und erzielt das 2:4.
Nachdem der deutsche Sturm fast eine Stunde lang glücklos agierte, gelingt Fritz Walter doch noch ein Tor zum 5:2, das allerdings, von seinen Mitspielern zu lange bejubelt, postwendend ein Gegentor durch den Berner Meier nach sich zieht. Trotz der Niederlage der Gastgeber geht der Schlusspfiff im Jubel der begeisterten Zuschauer unter, die ein tolles Spiel mit acht Toren zu sehen bekommen haben.
Im Hinblick auf die Weltmeisterschaft offenbaren sich mit Retters Bänderverletzung im rechten Knie eine kleine Katastrophe, mit Labands Tüchtigkeit eine Hoffnung machende Perspektive und mit Kubsch eine bekanntermaßen weitere Torhüteroption. Mai agierte eindrucks- und Eckel schwungvoll, Posipal mit einmaliger Souveränität, Herrmann litt unter der ungewohnten Position als Rechtsaußen und schoss zu selten aufs Tor, Klodt fand sofort nach seiner Einwechselung ins Mannschaftsspiel und harmonierte beeindruckend mit seinen Nachbarn, Morlock unterstrich seine beständig gute Leistung, Ottmar "entriegelte" mit seinen Rochaden die Schweizer Abwehr, Fritz zeigte sich erneut als unersetzlich, und für Schäfer sprechen wie für Fritz auch seine zwei Tore.
In ihrem ersten Gastspiel in Südamerika überraschte Rot-Weiss Essen mit einem 3:1-Sieg beim argentinischen Tabellenführer Independiente Buenos Aires. Vor 25.000 Zuschauern im Huracan-Stadion war Helmut Rahn der Liebling der Zuschauer, erhielt für seine für einfallsreichen Dribblings Beifall auf offener Szene und erzielte das 1:0. Die Essener hatten vor dem Spiel nur sechs Stunden geschlafen, wirkten aber frisch und ausgeruht und hielten das unwahrscheinlich hohe Tempo des Spiels mit. Auch der Stopper Wewers bekam Lob für seine Leistung.
In den Spielen der DFB-Vergleichsrunde fehlten die Nationalspieler in der Regel ihren Mannschaften: der BC Augsburg erreichte ohne Biesinger zuhause gegen Schwarz-Weiss Essen nur ein 1:1, Göttingen hatte gegen Hessen Kassel, das ohne Metzner und Hutfles auflief, beim 3:0 keine Schwierigkeiten und der SV Sodingen unterlag ohne Harpers beim Karlsruher SC mit 0:2. Auf der anderen Seite schlug der 1. FC Kaiserslautern auch ohne seine fünf Nationalspieler Hassia Bingen mit 6:3, der FK Pirmasens blieb auch ohne Kubsch ohne Gegentor und gewann bei Minerva 93 mit 6:0, und der HSV besiegte (ohne Posipal und Laband) eine Kombination aus Tennis Borussia Berlin und Viktoria 89 mit 4:1 (der anwesende Borusse Deinert überzeugte nicht). Der in der Nationalelf pausierende Toni Turek hatte mit Fortuna Düsseldorf beim 4:1 gegen den Bremer SV einen ruhigen Tag.
Montag, 26. April 1954
In diesen Zeiten ist es eine lohnende Neuigkeit, wenn zwei Stars der ungarischen Mannschaft Geld ausgeben: Mittelstürmer Nandor Hidegkuti baut sich ein Haus, und Mittelläufer Gyula Lorant kauft sich ein Auto. Ob es sich um eine Daimler-Limousine handelt, wie sie sein Nationaltrainer Sebes fährt, wird nicht bekannt gegeben. Dieser Sebes hat übrigens den österreichischen Schiedsrichter Steiner für Ungarns Begegnung am 23. Mai gegen England abgelehnt, nachdem die Begegnung Rapid Wien gegen Honved Budapest unter seiner Leitung dermaßen entgleist war.
Um von den Besten zu lernen, weilt eine chinesische Auswahl für ein halbes Jahr in Budapest, und studiert ungarische Trainingsmethoden.
In Argentinien sucht der Präsident vom Racing Club Buenos Aires (wo Evita Peron bis zu ihrem Tod 1952 Ehrenmitglied war) Helmut Rahn und seinen Mitspieler Penny Islacker im Hotel auf und bittet sie in sein Klubhaus. Der Vorstand des Vereins bietet den beiden Essenern pro Kopf 150.000 Mark, eine berufliche Existenz in Form eines eingerichteten Geschäftes und die Bezahlung des "Umzugs" inklusive der Familie. (Auch Herkenrath, Wewers und Termath werden von argentinischen Clubs umworben.) Das sind Angebote, die man schwer ausschlagen kann. Ob Rahn der Verlockung wiederstehen wird?
Dienstag, 27. April 1954
Helmut Rahn hat das lukrative Angebot, in Buenos Aires zu bleiben, mit dem Hinweis ausgeschlagen, er müsse erst mit seiner Frau darüber sprechen. Doch vorerst setzt er die Südamerika-Tournee mit Rot-Weiss Essen fort.
Edi Frühwirth, der amtierende Nationaltrainer Österreichs, wird sich mit Schalke 04 über einen Zweijahesvertrag als Trainer für die kommende Saison einig.
Erich Retter, der nach 15 Spielminuten gegen die Schweiz ausgewechselt werden musste, wird wegen eines per Röntgendiagnose festgestellten Meniskusabrisses in ein Stuttgarter Krankenhaus eingeliefert. Es ist zu befürchten, dass Herbergers bester und zuverlässigster Nationalverteidiger nicht nur für den Rest der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft, sondern wahrscheinlich auch für die Weltmeisterschaft ausfallen wird.
Mittwoch, 28. April 1954
Noch ein Nationalspieler, der sich von der Truppe entfernt: Toni Turek und Fortuna Düsseldorf reisen in die USA. Mit ihnen unter anderem der Rekordinternationale Paul Janes, der neue Außenstürmer Jupp Derwall und Trainer Kuno Klötzer. Düsseldorf ist in der Oberliga West nur Zehnter von 16 geworden, 12 Siegen stehen 15 Niederlagen gegenüber, aber Toni hat die drittwenigsten Tore kassiert (49)!
Rot-Weiss Essen unterliegt dieses Mal dem argentinischen Gastgeber San Lorenzo nach einer 1:0-Führung noch mit 1:2. Vor 60.000 Zuschauern sind die Essener deutlich überlegen, aber ihre Fernschüsse verfehlen das Tor.
Der Kartenvorverkauf für die Endrundenbegegnung um die Deutsche Meisterschaft zwischen Kaiserslautern und Frankfurt beginnt um zehn Uhr. Zwei andere der sechs Meisteraspiranten halten sich mit Trainingsspielen fit: Der 1.FC Köln besiegt Tura Bonn mit 7:0, und Hannover 96 schlägt TuS Celle ähnlich deutlich mit 5:0. Köln und Hannover können sich frühestens im Endspiel über den Weg laufen.
Die Türkische Verbandsführung tritt zurück. Ist sie der Anspannung vor der Weltmeisterschaft nicht gewachsen? Und hat das Einfluss auf die so wichtige Begegnung zwischen Deutschland und der Türkei am 17. Juni?
Donnerstag, 29. April 1954
Fortuna Düsseldorf erreicht mit einer SAS-Maschine, aus Neufundland kommend, New York. Die Fortunen tragen beim Verlassen des Flugzeuges Karnevalsuniformen. Noch in Düsseldorf hatten sie Portraitfotos von sich anfertigen lassen und eigens dafür den Maskenbildner des Düsseldorfer Opernhauses aufgesucht. Der Veranstalter der Tournee lässt die Spieler mit Hilfe der Fotos aufwändig ankündigen und schürt somit das Interesse. Per Unterschrift müssen alle Spieler gegenüber der Privatgesellschaft, die die Reise finanziert, akzeptieren, sich nicht von Dritten fotografieren zu lassen und auch keine Autogramme geben zu dürfen. Der Sohn des Fortuna-Präsidenten ist übrigens als Karnevalsprinz dabei.
In Gelsenkirchen, Deutschland, unterliegt Schalke 04 Portuguesa Sao Paulo mit 1:2 - Nationallinksaußen und Hauptkonkurrent für Helmut Rahn Bernie Klodt verwandelt einen Handelfmeter.
Freitag, 30. April 1954
Nach einem Interview auf Radio W.H.O.M. werden die Düsseldorfer Fortunen von der Stadt New York empfangen. Heute trifft auch ein anderer deutscher Verein, Borussia Dortmund, in den USA ein. Tureks Nationalmannschaftsrivale Heinrich Kwiatkowski ist mit von der Partie. Somit befinden sich (mit dem Essener Herkenrath) drei von vier Nationaltorhütern auf einem Kontinent fern der Heimat. Kwiatkowski ist übrigens nach kassierten Toren Zehnter in der Oberliga West geworden. Dortmund hat in der Gesamtwertung allerdings den fünften Platz erreicht. Nur einen Punkt hinter Preußen Münster aber deutlich hinter dem Trio Köln/Essen/Schalke. Die Borussia wird drei Wochen unterwegs sein. Die Reise soll durch Chicago, Cleveland, Milwaukee (woher der einladende Visconson Soccer Club stammt), Los Angeles und Kalifornien gehen.
Samstag, 1. Mai 1954
Fortuna Düsseldorf absolviert heute eine Trainingseinheit, Seppl Herberger experimentiert laut dem Berliner Kurier in der Sportschule Grünwald mit Sauerstoffgaben an die Sportler zur schnelleren Regeneration, und der DFB meldet fristgemäß 40 Spieler als erweiterten WM-Kader.
TOR Turek (Fortuna Düsseldorf); Kubsch (FK Pirmasens); Kwiatkowski (Borussia Dortmund); Herkenrath (Rot-Weiss Essen); Geissler (SpVgg. Fürth); RECHTER VERTEIDIGER Retter (VfB Stuttgart); Deinert (Tennis Borussia Berlin); Ertel (FK Pirmasens); LINKER VERTEIDIGER Bauer (FC Bayern München); Kohlmeyer (1.FC Kaiserslautern); Laband (HSV); Erhardt (SpVgg. Fürth); RECHTER LÄUFER Eckel (1.FC Kaiserslautern); Metzner (KSV Hessen Kassel); Pfeiffer (Alemannia Aachen); Mebus (1.FC Köln); MITTELLÄUFER Posipal (HSV); Liebrich (1.FC Kaiserslautern); Baumann (1.FC Nürnberg); Herbert Schäfer (Sportfreunde Siegen); LINKER LÄUFER Mai (SpVgg. Fürth); Harpers (SV Sodingen); Gottinger (SpVgg. Fürth), Röhrig (1.FC Köln); LINKSAUSSEN Schäfer (1.FC Köln); Herrmann (FSV Frankfurt); LINKER HALBSTÜRMER Fritz Walter (1.FC Kaiserslautern); Pfaff (Eintracht Frankfurt); Wade (Kickers Offenbach), Waldner (VfB Stuttgart); MITTELSTÜRMER Ottmar Walter (1.FC Kaiserslautern); Biesinger (BC Augsburg), Schade (SpVgg. Fürth); Zeitler (VfB Bayreuth), Traub (Karlsruher SC); RECHTER HALBSTÜRMER Morlock (1.FC Nürnberg); Weilbächer (Eintracht Frankfurt), Gerritzen (Preußen Münster); RECHTSAUSSEN Rahn (Rot-Weiss Essen); Klodt (Schalke 04)
Aus diesem Kreis muss Herberger die 22 Schweiz-Fahrer rekrutieren.
Sonntag, 2. Mai 1954
Im Rahmen des traditionellen Sportfestes "Fest der Deutschen" in Croyden marschieren Trachtengruppen. Die Düsseldorfer Fortuna kann da in ihren Karnevalskostümen gut mithalten. Anschließend spielt sie zur Freude der Zuschauer gegen Borussia Dortmund und gewinnen mit 6:0, mit anderen Worten: Turek Null, Kwiatkowski Sechs. Eine Vorentscheidung im Kampf um das Nationaltrikot?
In Berlin und Köln wird um die Deutsche Meisterschaft gespielt: Der BSV 92 unterliegt durch ein Tor in der 82. Minute Hannover 96 mit 1:2 (eine Minute, nachdem den Berlinern der Ausgleich gelungen war), und Eintracht Frankfurt unterliegt dem Titelverteidiger 1. FC Kaiserslautern mit 0:1. Obwohl Fritz Walters Konkurrent auf der linken Halbstürmerposition, Alfred Pfaff, effektiver spielt und konditionell stärker zu sein scheint, entscheidet Fritz nach Vorlage seines Bruders Ottmar per Direktannahme in der 81. Minute das Spiel. Während Ottmar insgesamt eher gebremst agierte, zeigte Nationalverteidiger Kohlmeyer eine länderspielreife Leistung.
In Freundschaftsspielen siegt der HSV gegen die Kickers Stuttgart mit 6:3 (Posipal trifft per Elfmeter, und die Entdeckung der Junioren-WM, Uwe Seeler, debütiert in der ersten Mannschaft und erzielt zwei Tore!). VfB Stuttgart - Tottenham Hotspurs 3:1, 1. FC Nürnberg - Hibernian 6:1 (2mal Morlock, 2mal Schade, und Stopper Baumann rechtfertigt seine Nominierung für den 40er-Kader).
Die Oberliga-Vergleichsrunde bringt u.a. folgende Ergebnisse: Schalke 04 - Minerva 3:0, FK Pirmasens - FC St. Pauli 2:0, Schwarz-Weiss Essen - Bayern München 3:1, Arminia Hannover - SV Sodingen 4:1, BC Augsburg - Tura Ludwigshafen 4:3.
Und West Bromwich Albions Spieler inhalieren beim Pokalendspiel in der Halbzeit "auf künstlichem Wege" Sauerstoff und gewinnen durch einen Treffer in der 88. Minute mit 3:2.
Montag, 3. Mai 1954
Herberger unternimmt mit den Spielern aus seinem 40er-Kader, die ihm zur Verfügung stehen, eine Schwarzwaldfahrt. Von der Sportschule Schöneck aus fahren sie nach einem gemeinsamen Mittagessen mit dem Omnibus an einen vorerst geheimen Ort. Der abgelegendste Gasthof, in dem zugleich der Schönheitsgrad der Zimmermädchen in Herbergers Augen keine moralische Gefahr für seine Spieler bildet, befindet sich in Obertal bei Baiersbronn - der "Gasthof zur Blume". Fünf Tage soll der Ausflug dauern und helfen, den "seelischen Akku wieder aufzuladen". Kein Training, nur Spaziergänge, Ruhe und ein bißchen Tischtennis oder Minigolf. Die potentiellen Mannschaftskameraden sollen eine gemeinsame Ebene miteinander finden. Und Herberger Zugang zu jedem Einzelnen.
Diese Reise findet ohne die Nationalspieler von Essen, Düsseldorf und Dortmund statt. Zu Ehren der Essener richtet der deutsche Botschafter Dr. Hermann Terdenge in Anwesenheit von Sportminister Dr. Valenzuela, Bauminister Dupeyron und Oberbürgermeister Sabate einen Empfang aus.
Neuigkeiten von den Teilnehmern der deutschen WM-Gruppe: Südkorea macht plötzlich seine Teilnahme vom Abschneiden bei den Asiatischen Spielen in Manila abhängig, wo sie zwischen dem 1. und 9. Mai gegen Japan, Hongkong, Indien, Philippinen und Indonesien antreten müssen, außer der Begegnung Deutschland gegen Türkei seien angeblich alle Spiele ausverkauft, und die Ungarische Nationalbank übernimmt den Kartendruck für das Spiel am 23. Mai gegen England, um Fälschungen und Schwarzmarktpreisen vorzubeugen.
Dienstag, 4. Mai 1954
Der argentinische Staatspräsident Peron widmet der Mannschaft von Rot-Weiss Essen einen offiziellen Staatsempfang und empfängt sie morgens für eine halbe Stunde in einer Sonderaudienz. Als Gastgeschenk bekommt er eine Grubenlampe "in künstlerischer Ausführung" aus dem Ruhrgebiet überreicht. Danach wird die gesamte Mannschaft in der offiziellen Maschine des Präsidenten nach Montevideo geflogen, wo sie Penarol Montevideo mit 3:0 besiegt, dessen fünf uruguayische Nationalspieler sich kurz vor Antritt ihrer Europareise mit befinden, darunter die Ausnahmespieler Andrade, Maspoli und Schiaffino. Vor 23.000 Zuschauern erzielt Helmut Rahn zwei Tore, Islacker gelingt zwischendurch das 2:0.
In Schenectady, N.Y. schlägt Fortuna Düsseldorf eine amerikanische Auswahlmannschaft aus dem Staate New York namens Capital District Soccer Interprise mit 3:1. Das anschließende gemeinsame Abendessen wird von den amerikanischen Spielerfrauen gekocht. Die Fortunen sind privat bei den gegnerischen Spielern untergebracht.
Mittwoch, 5. Mai 1954
Ein ursprünglich für den heutigen Tag geplantes Trainingsspiel der B-Auswahl der Nationalelf gegen den 1. FC Kaiserlautern (verstärkt durch den Pirmasenser Kubsch und den Frankfurter Herrmann) in Ludwigshafen ist der Endrundenteilnahme der Lauterer zum Opfer gefallen. Dafür genießen Herbergers Schützlinge jetzt den entspannten Umgang mit Tischtenniskellen und Minigolfschlägern.
In Glasgow kommt der WM-Teilnehmer Schottland nicht über ein 1:0 gegen Norwegen hinaus, das in der deutschen Qualifikationsgruppe spielte. Jedenfalls scheinen sich die Schotten nicht in Frühform zu befinden.
Das Stadion von Lausanne - das Stade Olympique - ist fertig gebaut. Es kostete $ 1,7 Millionen, und 84.000 Zuschauer sollen darin Platz finden - besonders für Schweizer Verhältnisse eine geradezu gigantische Zahl. Am 16. Juni soll es unmittelbar vor dem WM-Eröffnungsspiel Frankreich gegen Jugoslawien eingeweiht werden.
Donnerstag, 6. Mai 1954
Rot-Weiss Essen gibt im Rahmen seiner Südamerikatournee der Mannschaft von Independiente Gelegenheit zur Satisfaktion für die Niederlage von vor zehn Tagen und verliert seinerseits mit 2:4. Nachdem Helmut Rahn trotz härtester Deckung den 1:0-Halbzeitstand erzielen kann, halten die Essener lange ein 2:2, bis die Kräfte gegen die revanchebegierigen Argentinier erlahmen. Übrigens findet das Spiel aufgrund der klimatischen Bedingungen erst um 22 Uhr statt, was 3 Uhr früh MEZ entspricht.
Der Nationalmannschaftskader labt sich in Obertal an frischen Schwarzwaldforellen. Die Wirtsleute verhätscheln die Spieler nahezu, doch Herberger organisiert genug fußballlose Bewegung, so dass die Mahlzeiten sich nicht aufs Gewicht auswirken können. Langsam schürt Herberger die Wettbewerbslust und stiftet Buchpreise für die besten Tischtennisspieler. Und Fritz Walter optimiert sein Handicap im Minigolf.
Freitag, 7. Mai 1954
In Chicago besiegt Borussia Dortmund im Rahmen seiner US-Tournee die englische Berufsspielermannschaft von Plymouth Argyle mit 4:0 und feiert damit seinen ersten Sieg auf dem fremden Kontinent. Das Ganze gelingt "unter Tiefstrahlern", womit das in diesen Jahren in Deutschland noch unübliche Flutlicht gemeint sein dürfte.
Der VfB Stuttgart erreicht kurz vor Mitternacht Berlin, wo er am Sonntag gegen den BSV 92 sein erstes Endrundenspiel um die Deutsche Meisterschaft austragen wird.
Möglicherweise endet heute der Ausflug der Nationalmannschaft in den Schwarzwald. Der "kicker" sprach vorher von zwei Tagen (dann wäre sie seit drei Tagen vorbei), Fritz Walter wird sich an eine Woche erinnern und Maxl Morlock gar an acht Tage. Fritz wird allerdings am Tag darauf vom "kicker" zum "Aufladen" in der Schweiz gesichtet.
Samstag, 8. Mai 1954
Die Mannschaft des VfB Stuttgart sichtet am Vormittag das Berliner Olympiastadion, wo am Sonntag die Begegnung mit dem Berliner Meister stattfinden wird, und nachmittags wird sie im alten Polizeistadion, das jetzt Walter-Ulbricht-Stadion heißt und sich konsequenterweise im Ostteil der Stadt befindet, Zeuge der Begegnung DDR - Rumänien (des vierten Länderspiels der DDR überhaupt). Obwohl die Gastgeber schneller und ideenreicher agieren, erweisen sie sich vor dem rumänischen Tor jedoch als geradezu hilflos und verlieren mit 0:1. Abends kommen die Stuttgarter Spieler in den Genuss einer Stadtrundfahrt. Der spielfreie Gruppengegner Hannover 96 bestreitet derweil ein Vorbereitungsspiel gegen den Bezirksklassenangehörigen SV Lehrte und erzielt dabei sechs Tore.
In Ludwigshafen unterliegt Eintracht Frankfurt dem 1. FC Köln mit 2:3 (zwei Tore für Köln erzielt Mittelstürmer Stollenwerk, eins für Frankfurt Hans Weilbächer). Frankfurt ist somit aus dem Rennen um die Deutsche Meisterschaft, und die Begegnung zwischen Köln und Kaiserslautern am kommenden Wochenende verspricht ein echtes Endspiel zu werden.
Beim Freundschaftsspiel HSV gegen Tottenham Hotspurs, das 2:2 endet, wird Fritz Laband wegen einer Unterschenkelmuskelverletzung ausgewechselt. Jupp Posipal (per Elfmeter) und Uwe Seeler erzielen die Hamburger Tore.
In einem anderen Freundschaftsspiel Harburger TB gegen SpVgg Fürth wird der Fürther Verteidiger und Nationalmannschaftsaspirant Herbert Erhardt nicht zum ersten Mal als Mittelstürmer eingesetzt. (Da Verletzungen und Vereinswechsel die Reihen der Fürther Stürmer arg gelichtet haben, wird sich das im Jahr 54 noch einige Male wiederholen.) Als hätte er nie auf einer anderen Position gespielt, erzielt er beim 4:1 für seine Mannschaft zwei Tore.
Sonntag, 9. Mai 1954
Rot-Weiss Essen muss den vielen Spielen der letzten Tage langsam Tribut zollen und verliert gegen die uruguayische Nationalmannschaft vor 90.000 Zuschauern mit 1:5 (0:3). Ausgeglichener verläuft das Spiel im Triboro-Stadion in New York zwischen Fortuna Düsseldorf und dem britischen FC Chelsea, das vor 19.000 Zuschauern mit 2:3 endet. Allerdings beklagen die Rheinländer nach dem Spiel nicht weniger als sechs Verletzte! Trotzdem besuchen beide Teams danach gemeinsam ein Pferderennen im Belmont-Park. Eines der Pferd heißt sogar "Fortuna", ist aber wohl kein Profipferd
Beim abschließenden Fest in Sunrise-Village zeigen sich der Düsseldorfer Torhüter Toni Turek und der Chelsea-Trainer Ted Drake ausgelassen und "mimen mit einer amerikanischen Sängerin im gleißenden Rampenlicht, improvisieren wie alte Fuhrleute des Kabaretts und bekunden, an welchen Chancen sie in diesem Leben vorbeigeschlichen sind." (O-Ton Monatsblätter des Düsseldorfer TSV Fortuna 1895)
Da in Cleveland/Ohio Borussia Dortmund gegen die Ohio All Stars vor 6.000 Zuschauern mit 13:2 (6:1) gewinnt, gehen die im Ausland aktiven deutschen Teams immerhin nicht alle leer aus.
Beim Endrundenspiel BSV 92 gegen VfB Stuttgart, das 0:3 endet, scheidet mit den Berlinern erneut eine Mannschaft aus dem Ringen um die Deutsche Meisterschaft aus. Auch hier wird am kommenden Wochenende die Entscheidung fallen, wenn die Stuttgarter auf Hannover 96 treffen, dessen Spieler sich gemeinsam den bevorstehenden Gegner im Fernsehen betrachtet haben.
Der verletzte Stuttgarter Erich Retter hat von seinem Trainer Schorsch Wurzer ein Fernsehgerät ins Krankenhaus gestellt bekommen. Noch immer ist es unwahrscheinlich, dass Retter bis zur Weltmeisterschaft wieder genesen sein wird.
Zwei andere Nationalspieler erleiden an diesem Spieltag Blessuren: beim Freundschafsspiel gegen Aston Villa verletzt sich Gunter Baumann am Wadenbein (der "Club" gewinnt mit 3:1), und im Rahmen der DB-Vergleichsrunde unterliegt die SpVgg. Fürth nicht nur Bremerhaven 93, sondern Karl Mai holt sich zudem einen Bluterguss in der Wade. Desweiteren spielen unter Einsatz von Nationalspielern Göttingen 05 - FSV Frankfurt 1:2, FC St. Pauli - Schalke 04 5:0, Kickers Offenbach - FK Pirmasens 0:1.
Ebenfalls heute findet Jakl Streitles Abschiedsspiel vom FC Bayern München statt. Nach fast 900 Einsätzen für die Bayern bildet die Begegnung mit Manchester City einen angemessenen Rahmen für den 15fachen Nationalspieler und erfolgreichen Betreuer der deutschen Juniorennationalelf. Beim 3:3 agiert übrigens Hans Bauer nach auskurierter Blessur beeindruckend stark.
Drei WM-Teilnehmer absolvieren Vorbereitungsspiele: Jugoslawien unterliegt dabei überraschend Belgien mit 0:2, und Österreich besiegt Wales mit 2:0.
Montag, 10. Mai 1954
Das Organisationskomitee der WM hat unter 18 Fabrikaten den WM-Ball ausgewählt. Um welches Modell es sich handelt, bleibt vorerst geheim!
Auch ist beschlossen worden, dass es vor den WM-Begegnungen keine Vorspiele geben wird. Eine Stunde vor Anpfiff sollen Blasmusikkapellen konzertieren. Diese Kapellen werden dann auch die Nationalhymnen der beiden Teams spielen, die sich gegenüber stehen. Für alle Fälle habe man die Hymnen aber auch als Schallplatte vorrätig!
Dem brasilianischen Team winken im Falle des Finaleinzugs 360.000 DM an Prämien. Der brasilianische Verband hat für die Expedition Weltmeisterschaft eine Zeitspanne von 158 Tagen kalkuliert. Das Trainergehalt beträgt 22.000 DM, die Spieler erhalten für den Lohnausfall 60.000 DM, der Mannschaftsarzt 15.000 DM, der Chefkoch immer noch 8.000 DM!
Der Westdeutsche Verband nominiert den Aachener Pfeiffer, den Siegener Schäfer und den Sodinger Harpers für seine Auswahlspiele am 23. und 27. Mai. Die Drei machen sich zudem berechtigte Hoffnung, zum Weltmeisterschaftskader zu gehören.
Dienstag, 11. Mai 1954
Maximilian "Maxl" Morlock wird heute 29 Jahre alt. Mit 8 Jahren trat er seinem "Club" bei, dem 1. FC Nürnberg, mit 23 wurde er Deutscher Meister und mit 25 Ehegatte. Was wohl das eben beginnende 30. Lebensjahr für ihn bereithalten mag? Unter anderem ein Trainingsspiel am morgigen Tag mit der Nationalmannschaft gegen eine britische Militärauswahl in Düsseldorf.
Apropos Düsseldorf: Die Mannschaft von Fortuna Düsseldorf reist per Flugzeug von New York nach Milwaukee; unter Polizeisirenen wird sie zu der deutschen Brauerei Blatz begleitet, wo man sie mit einem Imbiss empfängt. Anschließend geht die Fahrt ins Hotel Ambassador, wo auch Borussia Dortmund weilt. Nach 14 Tagen in den USA haben die Spieler das amerikanische Hauptnahrungsmittel Truthahn über und sehnen sich nach solider Hausmannskost.
Mittwoch, 12. Mai 1954
In Düsseldorf kommt es zu einem Trainingsspiel der Nationalelf gegen die "Britische Home-Army", eine Auswahl der auf den britischen Inseln stationierten Truppen, in deren Reihen sich einige Spieler der ersten Division befinden. Beim 8:0-Sieg vor 25.000 Zuschauern werden dabei erste Erfahrungen mit dem WM-Ball gesammelt, einem Schweizer Fabrikat.
Für die Deutschen spielen Kubsch, Posipal, Baumann, Metzner, Schäfer (Siegen), Harpers, Klodt, Morlock, Biesinger, Pfaff und Herrmann. Als Reservisten sind dabei der Neuling Grunert (Borussia Mönchengladbach), Deinert, Laband, Pfeiffer, Weilbächer und Traub (vom KSC). Morlock zeigt sich am Tag nach seinem 29. Geburtstag in enormer Spiellaune, glänzt als Regisseur wie als Torschütze. Pfaff agiert brillant, seine "Einfüßigkeit" (er kann nur mit links schießen) fällt nicht auf. Schäfer zeigt auf dem Stopperposten eine bessere Leistung, als es der Kasselaner Hutfles im B-Spiel gegen die Schweiz vermochte. Harpers und Metzner vernachlässigen die Abwehr zu sehr und haben Glück, dass das ohne zählbare Folgen bleibt. Besonders Harpers, obwohl er einer der feinsten Techniker im Bundesgebiet ist, agiert zu verspielt. Biesinger zeigt erneut zwei Gesichter - er vergibt vier bis fünf hundertprozentige Torchancen. Und die Hintermannschaft scheint das Sorgenkind der Nationalmannschaft zu bleiben. Torhüter Kubsch versteht sich nicht mit seiner Deckung, stößt beim Herauslaufen sogar mit ihr zusammen. Der Schalker Klodt erinnert mit seiner Leistung an vergangene Bestform.
Die Torschützen: Herrmann (4. Minute), Morlock (14.), Biesinger (33.), Klodt (36.), Morlock (44.), Herrmann (49.), Pfaff (52.), Morlock (70.). Der komplette Fünfersturm macht also den Torreigen unter sich aus. Die Abwesenheit der Kaiserslauterer und Kölner, die sich für das über den Finaleinzug entscheidende Spiel am Sonntag schonen, fällt nicht ins Gewicht. Apropos Köln: der Siegener Schäfer wird als Neuzugang beim 1. FC gehandelt. Was bedeuten würde, dass er seinen Amateurstatus aufgeben und Vertragsspieler werden müsste. Und wie um daran zu erinnern, wird Schäfer zusammen mit dem Frankfurter Weilbächer für das kommende Amateurländerspiel am 30. Mai gegen Frankreich nominiert.
Donnerstag, 13. Mai 1954
Die Mannschaft von Rot-Weiss Essen lässt eine 38stündige Reise in einem Pullmann-Zug über sich ergehen, in dem wider Erwarten keine Plätze reserviert sind. Die spannungsarme Fahrt durch endlose Mais- und Weizenfelder, während der vereinzelte Rinderkadaver und darüber kreisende Aasgeier die seltenen Höhepunkte bilden, endet in Santiago de Chile. Dort verbringen die Essener eine Nacht und setzen tags darauf die Zugfahrt quer durch die Anden nach Arica in Nordchile fort. Helmut Rahn entfernt sich also immer weiter von Europa, wo die Weltmeisterschaftsvorbereitungen auf sämtlichen Ebenen voranschreiten. Aber schlimm scheint das nicht, wo doch am Vortag die Sturmreihe der Nationalelf acht Tore erzielt hat. Rahns letzter Nationalmannschaftseinsatz gegen die Saarelf war auch von großer Eigennützigkeit geprägt und half ihm keineswegs, für sich zu werben.
Freitag, 14. Mai 1954
In Milwaukee kommt es zu einer erneuten Begegnung zwischen Fortuna Düsseldorf und Borussia Dortmund. Nach dem 6:0 vor 12 Tagen endet die heutige Partie vor 5.000 Zuschauern im County-Stadion überraschenderweise mit 2:6 (2:3). Das anschließende Bankett dauert bis 3 Uhr früh. Im Direktvergleich der Nationaltorhüter behält Toni Turek also leicht die Nase vor Heini Kwiatkowski.
Die Nationalmannschaft Uruguays macht sich heute auf den weiten Weg in die Schweiz, um bei der Weltmeisterschaft ihren Titel zu verteidigen. Sie gewänne ihn dann zum dritten Mal und dürfte somit die Weltmeistertrophäe endgültig behalten. Übrigens haben die Uruguayer auch nicht den geringsten Zweifel daran, dass das so geschehen wird. Im Gegensatz zu einem Großteil der internationalen Fachpresse, die den Ungarn größere Chancen einräumt. Diese haben eine pikante Begegnung vor sich, denn die Engländer starten heute ihre Reise zum Kontinent, um sich für die 3:6-Majestätsbeleidigung aus dem vergangenen November zu revanchieren. Aus "Rache für Wembley" trainieren die englischen Spieler mit "selten gesehenem Eifer".
Hannover 96 bezieht zwei Nächte vor dem Spiel um den Einzug ins Meisterschaftsfinale gegen Stuttgart ein Quartier nahe Düsseldorf.
Der DFB lädt 27 Spieler zum abschließenden Trainingslager nach Grünwald ein: Noch dabei ist der Essener Herkenrath, dafür fehlen in der Liste (ebenfalls noch) Deinert, Baumann und Mebus.
Kleine Randnotiz: Der Athener IOC-Kongress lehnt die Aufnahme der DDR ins Olympische Komitee ab. Allerdings werden einige andere Verbände zugelassen, darunter die von Rotchina und der Dominikanischen Republik.
Samstag, 15. Mai 1954
Fortuna Düsseldorf reist heute um 7 Uhr früh zur nächsten Station nach Detroit. Und eine Chartermaschine bringt Rot-Weiss Essen den Rest des zweitägigen Weges nach La Paz, der Hauptstadt von Bolivien, wo am Sonntag die nächste Begegnung ansteht (die sechste innerhalb von 22 Tagen).
Beim 1:1 im Freundschaftsspiel zwischen dem HSV und dem brasilianischen Meister RC Flamengo haben die Hamburger in den Schlussminuten doppeltes Pech: erst egalisieren die Brasilianer die Hamburger Führung in der 80. Min, dann wird in der 85. Minute Posipal gerempelt und knickt um. Er erleidet eine Zerrung mit Bluterguss, was die Verletztenliste der Nationalverteidiger verlängert.
In einer vorgezogenen Begegnung der DFB-Vergleichsrunde besiegt der FSV Frankfurt Mainz 05 mit 4:1 - Richard Herrmanns Direktvorlagen sind eine Augenweide - und hält damit den zweiten Platz in der Gruppe 5. Das morgige Spiel gegen Manchester City eingerechnet wird Herrmann innerhalb von fünf Tagen drei Spiele bestreiten. Doch für einen Vollblutsportler wie ihn bildet das eine erträgliche Belastung.
Sonntag, 16. Mai 1954
In Detroit erreicht Fortuna Düsseldorf gegen die kanadische Auswahl der Toronto United All Stars ein 2:2-Unentschieden. Die Spieler logieren im Hotel Fortwayn.
Mit demselben Ergebnis trennen sich vor 25.000 Zuschauern in Boliviens Hauptstadt La Paz Rot-Weiss Essen und Bolivar La Paz. Die Essener leiden dabei 3.658 Meter über dem Meeresspiegel unter akutem Sauerstoffmangel und begegnen diesem mit dem Einsatz von Sauerstoffflaschen, an denen sich die meisten Spieler im Zehnminutentakt die Lungen voll pumpen.
In Los Angeles besiegt Borussia Dortmund vor 15.000 Zuschauern erneut die englischen Profis von Plymouth Argyle, allerdings dieses Mal nur mit 3:1 (2:1).
Die entscheidenden Begegnungen um den Finaleinzug zur Deutschen Meisterschaft verlaufen höchst brisant: In Stuttgart unterliegt der 1.FC Köln dem 1.FC Kaiserslautern mit 3:4, was den Pfälzern die Titelverteidigung weiterhin möglich macht. Obwohl die Kölner insgesamt den besseren Eindruck hinterlassen, erhält der Lauterer Horst Eckel in der Fachpresse die beste Benotung. Das 1:0 erzielt Fritz Walter durch einen umstrittenen Elfmeter, der Anschlusstreffer zum 3:1 gelingt dem Kölner Hans Schäfer, das postwendende 4:1 Ottmar Walter. Werner Kohlmeyer offenbart Schwächen im Zweikampf, Fritz glänzt mit Variété-Tricks, Ottmar Walter spielt umsichtig und präzise - alle Lauterer scheinen sich blind zu verstehen. Auf der anderen Seite agiert auch das Sturmduo Röhrig/Schäfer oft beeindruckend, allerdings wirkt der Außenläufer und Herbergerschüler Paul Mebus nicht mehr so stark wie früher (er wird ja auch "schon" 34). Jupp Röhrig verletzt sich im Laufe des Spiels und wird die nächste Woche im Bett verbringen. Eine Muskelfaser ist gerissen, und zwar nicht zum ersten Mal, weshalb er in den letzten Wochen auch kaum trainiert hat.
Finalpartner der Lauterer wird überraschenderweise nicht der Deutsche Meister des Vorvorjahres, der VfB Stuttgart, sondern Hannover 96, das die Schwaben in Düsseldorf mit 3:1 besiegt.
In Würzburg treffen zwei alte Bekannte aufeinander: Richard Herrmann mit seinem FSV Frankfurt und der Ausnahmetorwart Bert (Bernd) Trautmann mit Manchester City. Beide Männer kennen sich aus der Kriegsgefangenschaft, und während der aus Kattowitz stammende Herrmann beim FSV eine neue Heimat fand, blieb Trautmann in England und relativierte das Bild vom "bösen Deutschen". Obwohl die Fachwelt anderer Meinung ist, verwehrt Herberger dem für seine Tollkühnheit bekannten Torhüter den Zugang zur Nationalmannschaft. Vielleicht auch, um sich nicht eines wichtigen Argumentes gegen den Wechsel ins Ausland zu berauben. Frankfurt unterliegt übrigens den Gästen mit 0:1, und Trautmann begeistert die Zuschauer mit gewagten Paraden.
In einer anderen hessisch-englischen Begegnung trennen sich Hessen Kassel und Sheffield United mit 1:1 - "Gala" Metzner zeigt sich seit dem Trainingsspiel der Nationalelf am Mittwoch verbessert, und Hutfles gelingt in der 85. Minute der Ausgleich.
Am 3. Spieltag der DFB-Vergleichsrunde unterliegt Union 06 dem 1.FC Nürnberg mit 3:5 - das 1:2-Führungstor erzielt Horst Schade, das 1:4 Maxl Morlock. Letzterer spielt erneut brillant, aber es zeigt sich, dass Gunter Baumann als Abwehrchef nicht zu ersetzen ist. Ob Herberger das auch so sieht? Während seine Konkurrenten um den Nationaltorwartsposten auf dem amerikanischen Kontinent einen guten Eindruck hinterlassen, erwischt Heinz Kubsch mit seinem FK Pirmasens einen rabenschwarzen Tag und verliert bei Schalke 04 mit 2:8. Das vorletzte Tor der Gastgeber erzielt Bernie Klodt. Der FC Bayern München schlägt (mit Hans Bauer) Phönix Ludwigshafen mit 1:0, die SpVgg Fürth besiegt Wormatia Worms mit 3:1 (der Notmittelstürmer Erhardt trifft mit dem 3:1 erneut ins gegnerische Tor; Karl Mai verletzt sich); und der Spandauer SV unterliegt Alemannia Aachen mit 1:3, wobei Aachens Pfeiffer dieses Mal "sein Talent nicht verleugnet".
Und zu guter Letzt schlägt im Duell zweier WM-Teilnehmer Jugoslawien England durch einen Treffer in der 88. Minute mit 1:0. Und das, obwohl die Jugoslawen (im Gegensatz zu den Engländern) nicht zu dem "gesetzten" acht Teams gehören.
Montag, 17. Mai 1954
Die Reisegruppe von Fortuna Düsseldorf ist heute Gast der Fordwerke und der Stadt Detroit. Der Spieler Josef "Menne" Risse erfreut dabei seine Zuhörer mit einer Büttenrede.
Am Morgen trifft die Mannschaft aus Uruguay per KLM-Sonderflugzeug in der Schweiz ein. Auf 22 Spieler kommen 22 Begleiter - Trainer, Arzt, Masseur, Koch, Verbandsdelegierte und Journalisten. (Zum Vergleich: die Deutschen werden mit neun Begleitern auskommen.) Quartier ist Hilterfingen am Thuner See, unweit des Quartiers der deutschen Mannschaft.
Rot-Weiss Essen ist jetzt seit gut vier Wochen unterwegs. Peru, Ekuador und USA sind die nächsten Ziele. Der "kicker" meldet, dass Herberger den Essener Torhüter Fritz Herkenrath auffordert, die Reise abzubrechen und zurückzukommen, da er die Nummer Eins in der Nationalmannschaft werden soll. Was allerdings Georg Melches, den Essener Präsidenten verwundert, da Herkenrath noch nicht eine Gelegenheit bekommen hat, die deutschen Farben zu vertreten. Wir wissen es schon: Herkenrath wird dem Ruf nicht folgen. Im Gegensatz zu Helmut Rahn, der sich von Herbergers Anruf im Hotel von La Paz freudig überrascht zeigt, da er sich nach dem weniger überzeugenden Länderspiel gegen das Saarland kaum Hoffnung auf eine WM-Teilnahme gemacht hatte.
Der Österreicher Ernst Stojaspal wird nach der WM nach Frankreich wechseln - er hat bei Racing Straßburg unterschrieben.
Der ehemalige Nationalspieler und jetzige Berner Spielertrainer Albert Sing ist laut dem "kicker" über das Reisebüro Popularis Tours in Bern gerne bei Kartenwünschen für die WM-Spiele behilflich. Allerdings nur in Verbindung mit Zimmerbestellungen.
Dienstag, 18. Mai 1954
Die Reise von Fortuna Düsseldorf endet, wo sie begonnen hat - in New York. Zum Abschied gewinnt man gegen die Auswahl des DAFB bei "Scheinwerferbeleuchtung" mit 3:1. Der DAFB - der Deutsch-Amerikanische Fußballbund - wurde 1923 gegründet, kämpft seitdem um die Akzeptanz des Fußballs innerhalb der amerikanischen Bevölkerung und lädt seit 1950/51 alljährlich eine deutsche Vereinsmannschaft in den Sommermonaten zu Gast- und Werbespielen für den Fußballsport in nordamerikanische Großstädte ein. Vor der Fortuna waren bereits Eintracht Frankfurt, der Hamburger SV, die Stuttgarter Kickers und der 1. FC Nürnberg, zu Gast. Nur allmählich gelingt es dem DAFB-Präsidenten, August Steuer, neben den weniger zahmen Lieblinssportarten Football und Baseball die Aufmerksamkeit der Amerikaner auf "Soccer" zu lenken.
Mittwoch, 19. Mai 1954
Helmut Rahn trennt sich heute von seinen Essener Mannschaftskameraden und tritt die Heimreise an. Er fliegt zuerst nach Lima (Peru), wo er sieben Stunden Aufenthalt hat, dann über Panama, Miami, London und Brüssel nach Frankfurt/Main. 48 Stunden nach seiner Ankunft wird man ihn bereits in der Sportschule Grünwald erwarten, wo sich der endgültige WM-Kader herauskristallisieren soll.
In Oberhausen trifft die Deutsche Amateur-Nationalmannschaft auf Queens Park Glasgow und siegt mit dem Frankfurter Hans Weilbächer und dem Siegener Herbert Schäfer mit 5:0. Das letzte Tor erzielt Weilbächer, der sich als feiner Techniker erneut für höhere Aufgaben empfiehlt.
Der FSV Frankfurt unterliegt in einem Freundschaftsspiel dem Belgrader SK mit 2:5, der HSV besiegt, obwohl ihm seine Nationalspieler Laband und Posipal fehlen, Sheffield United mit 3:2, und die Stadtelf München unterliegt der Stadtelf Augsburg mit 1:3.
WM-Teilnehmer Schottland ist auf Skandinavienreise, kommt aber 14 Tage nach dem 1:0 gegen Norwegen dieses Mal in Oslo nur zu einem 1:1 (0:0). In der benachbarten Hauptstadt Stockholm besiegt im Duell zweier Nichtqualifikanten Schweden Holland mit 6:1 (2:1).
Und der Finalist um die Deutsche Meisterschaft, Hannover 96, setzt auf das Prinzip Hoffnung und deckt sich vier Tage vor dem Endspiel in Hamburg mit grünen Trikots ein.
Donnerstag, 20. Mai 1954
Fortuna Düsseldorf beendet heute seine US-Tournee und macht sich auf den Rückflug. In den 5 Begegnungen gab es 2 Siege, 1 Unentschieden und 2 Niederlagen. Man schoss 15 Tore, kassierte selber 12 und beklagt 6 Verletzte.
Der Hamburger Jupp Posipal holt die Vorjahresmeister vom 1. FC Kaiserslautern und seine fünf Nationalmannschaftskollegen Kohlmeyer, Liebrich, Eckel, Fritz und Ottmar Walter drei Tage vor dem Endspiel um die Deutsche Meisterschaft am Fernbahnsteig ab. Die Lauterer treffen mit dem Helvetia-Express ein. Ein Bus chauffiert sie zum Bellevue-Hotel an der Alster-Promenade. Fritz Walter hat seine Gattin Italia mit dabei. Wird ihm das helfen, den Titel zu verteidigen? Unter 30 Befragten zweifelt kein Einziger an einem Sieg der Pfälzer!
Freitag, 21. Mai 1954
Die Mannschaft von Fortuna Düsseldorf trifft nach einem 14-Stunden-Flug mit einer viermotorigen SAS-Maschine in Hamburg ein. Zum Ausklang der gemeinsamen Unternehmung werden sich alle Spieler gemeinsam das Endspiel im Volksparkstadion ansehen.
Auch Helmut Rahn betritt wieder deutschen Boden. Allerdings in Frankfurt/Main. Ihm bleiben 48 Stunden in Essen für Frau und Kind.
Während Hannover 96 ein geheimes Wochenendquartier aufsucht, bereitet sich der 1.FC Kaiserslautern bereits mit Gymnastik und Gesundheitsrunden im Volksparkstadion - dem Schauplatz der alles entscheidenden Begegnung vor.
Die Nationalmannschaft Englands trifft ihrerseits in Budapest ein. Ein halbes Jahr nach der Blamage von Wembley, wo man sich den Ungarn als erstem Team vom Kontinent überhaupt mit 3:6 geschlagen geben musste, erhofft man sich die Gelegenheit zur Revanche. Vor der britischen Botschaft in Budapest warten Hunderte Schaulustiger, während drinnen ein Empfang für beide Mannschaften stattfindet. Bei Zitronenlimonade und Orangensaft!
Samstag, 22. Mai 1954
Das inoffizielle Spiel um den dritten Platz in der Deutschen Meisterschaft zwischen dem VfB Stuttgart und dem 1. FC Köln endet 2:3.
Die Mannschaft vom 1. FC Kaiserslautern lenkt sich am Abend vor dem Endspiel mit einem Kinobesuch ab: ein "Hollywood-Kriminalreißer" wird gegeben.
Bei einer kleinen Zusammenkunft im Ratsweinkeller bemerkt Herberger, dass der Altersdurchschnitt der deutschen Auswahl niedriger sei als der von Ungarn, der Schweiz und Uruguay. Zudem verrät er, dass Ottmar Walter ins Tor müsse, falls sich während eines WM-Spiels, wo nicht einmal in der ersten Halbzeit ausgewechselt werden dürfe, der Keeper verletze. Im Übrigen beobachte er aufmerksam die "Sauerstoffversuche" anderer Länder - die Gabe von Sauerstoff an die Spieler während eines Spiels, sogenannte "Sauerstoffdusche", mit denen eine schnellere Regeneration erreicht werden soll.
Der 4. Spieltag der DFB-Vergleichsrunde beginnt bereits heute mit u.a. folgenden drei Begegnungen: FC St. Pauli - FK Pirmasens 4:0 (Heinz Kubsch kassiert nach den acht Toren der Vorwoche dieses Mal nur halb so viele), Meidericher SV - SpVgg. Fürth 0:2 (Richard Gottinger beeindruckt zwei Tage vor der "Woche der Wahrheit" um die WM-Startplätze) und Bremer SV - BC Augsburg 1:3 (obwohl die Hansestädter Uli Biesinger stoppen können).
Sonntag 23. Mai 1954
Vor 7.500 Zuschauern in New York "rächt" Borussia Dortmund die Niederlage der Düsseldorfer Fortunen und besiegt den FC Chelsea mit 6:1 (3:1).
Am Tag vor dem offiziellen Beginn des abschließenden WM-Trainingslagers des Nationalmannschaftskaders in der Sportschule München Grünwald wird im Hamburger Volksparkstadion das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft ausgetragen. Dabei stehen sich der Südwestmeister und Titelverteidiger 1. FC Kaiserslautern und der Überraschungsfinalist und Nordmeister Hannover 96 gegenüber.
In der ersten Spielhälfte bestimmt der Favorit das Spiel, die Angriffe werden von Fritz Walter gewohnt präzise vorgetragen, das erste Tor durch Eckel erfolgt zwangsläufig. Liebrich erhält oft Beifall auf offener Szene (wie ließen sich Posipal und Liebrich, die beide Mittelläufer spielen, in ein und derselben Mannschaft kombinieren, fragt der "kicker"). Kohlmeyer macht taktische Fehler, ist aber ansonsten wieder der Alte! Und Ottmar Walters Form lässt trotz "Schusszündung" nichts zu wünschen übrig. Doch als Hannover kurz vor der Halbzeit der Ausgleich gelingt, bahnt sich bereits die überraschende Wende an.
Nachdem Kohlmeyer zu Beginn der zweiten Halbzeit ein Eigentor unterlaufen ist, Ottmar nur den Pfosten trifft und Eckel im Laufe des Spiels eine Lähmung im Oberschenkelmuskel erleidet, resigniert Fritz Walter, der zudem besonders unter der Hitze leidet. Hannover spielt sich in einen Rausch, dem die Lauterer bald nichts mehr entgegenzusetzen haben. Das Endergebnis ist niederschmetternd - Kaiserslautern geht mit 1:5 (1:1) unter! Der alte Deutsche Meister ist entthront, der neue Deutsche Meister kommt aus Niedersachsen.
Die Niederlage der Lauterer, die den Kern der aktuellen Nationalmannschaft beherbergt, ruft erneut die schärfsten Kritiker des Bundestrainers auf den Plan. Sollte die Nationalelf nicht schleunigst umgestaltet werden? Gewissermaßen "entkernt" werden? Um für die Weltmeisterschaft irgendeine Perspektive zu behalten müsse schnell gehandelt werden.
Beim abendlichen Bankett in Sagebiels Fährhaus an der Elbchaussee sagt Fritz Walter: "Meine Mannschaft jetzt im Stich zu lassen wäre unverantwortlich. Vorerst wird noch weitergemacht." Das bezieht sich in erster Linie auf den 1. FC Kaiserslautern.
Ein ähnliches wenngleich weniger überraschendes Debakel erleidet die englische Nationalmannschaft gegen Ungarn vor 90.000 Zuschauern in Budapest: mit 1:7 (0:3) unterliegt sie dieses Mal und beweist nachdrücklich, dass der englische Fußball in seiner Entwicklung stehen geblieben ist. "Nichts gelernt aber viel vergessen!", urteilt Dr. Willy Meisl, Einer der Fachleute des "kicker". Herberger wurde vom ungarischen Fußballverband zu der Begegnung eingeladen, sagte aber wegen des Deutschen Meisterschaftsendspiels, einer DFB-Spielausschusssitzung und dem Lehrgangsbeginn in Grünwald am nächsten Tag ab.
Doch schon heute wird in Lausanne ein weiteres der sechs neuen WM-Stadien eingeweiht: die Begegnung zwischen der Schweiz und Uruguay endet 3:3 (1:1).
Letzte Einsätze der Nationalspieler für ihre Vereinsmannschaften in der DFB-Vergleichsrunde: Kickers Offenbach schlägt Schalke 04 mit 5:2 (Bernie Klodt gelingt ein Tor), Maxl Morlock verhilft seinem 1. FC Nürnberg zum 1:0-Sieg gegen TuS Neuendorf, der VfL Bochum besiegt den FSV Frankfurt mit 2:0 (Richard Herrmann scheint sich für das Trainingslager zu schonen), und Hans Bauer vom FC Bayern hätte es ihm gleichtun sollen, denn er verletzt sich beim 1:5 bei Holstein Kiel in den ersten Minuten.
Und in Wien wird eine der ersten WM-Begegnungen simuliert: im Spiel "Wien" gegen "Prag" (was der Paarung Österreich gegen Tschechoslowakei sehr ähnelt) offenbaren sich trotz eines 2:0-Sieges Sturmsorgen bei der Heimmannschaft. Es bleibt nicht mehr viel Zeit, daran zu arbeiten.
Montag, der 24. Mai 1954
Gunter Baumann erscheint am Morgen nach dem Endspiel um die Deutsche Meisterschaft als erster der 29 Kandidaten für 22 WM-Plätze in der Sportschule Grünwald. Auch Helmut Rahn, der erst sieben Tage zuvor davon erfahren hat, trifft heute ein. Jupp Posipal ist aufgrund seiner Verletzung noch Zuschauer.
Die Trainingsziele sind eindeutig definiert: Kondition und Taktikverständnis müssen auf ein höheres und vor allem einheitliches Niveau gebracht werden. Der gemeinsame Tag beginnt um sieben Uhr früh auf der Laufbahn. Nach dem Duschen gibt es um Acht Frühstück. Um Neun erfolgt eine theoretische Sitzung im Hörsaal inklusive einer Manöverkritik zum Vortag. Das harte aber abwechslungsreiche Training folgt um Zehn und beinhaltet Laufarbeit (drei bis vier Runden Warmlaufen in Gruppen, dann Steigerungsläufe) und spielerisches Training (3 gegen 1, 4 gegen 2, 5 gegen 5, 6 gegen 6).
Ein Saunagang um Elf beschleunigt die Regeneration, und dem Mittagessen um Zwölf folgt die Mittagsruhe um Eins. Um halb Vier wird zum Kaffeetrinken geläutet, und um Vier wird das Training fortgesetzt. Dieses Mal heißen die Disziplinen Korbball, Fußtennis oder Raufball. Der Tag endet nach dem Abendbrot beim Spaziergang, beim gemeinsamen Kinobesuch oder beim Wettkegeln um von Herberger gestiftete Buchpreise.
Bekanntlich nehmen ja auch noch andere Mannschaften an der Weltmeisterschaft teil. Während die am Vortag in Budapest von den Ungarn gedemütigten Engländer erst einmal auf ihre Insel zurückkehren, unterbricht die Türkei ihre laufende Meisterschaft, und die Nationalmannschaft bezieht 18köpfig ein Lager am Marmarameer, damit sich die Spieler vor den kommenden Strapazen erholen können.
Dienstag, 25. Mai 1954
Während in Grünwald der Großteil der potentiellen Schweizfahrer den zweiten schweißtreibenden Trainingstag absolviert, schließen am Nachmittag sämtliche Betriebe der Westpfalz, um der Bevölkerung den Empfang ihres 1. FC Kaiserslautern erlebbar zu machen. Elf Bollerschüsse und ein tausendkehliges "Hurra 1. FC K" empfangen die Vizemeister um Fritz und Ottmar Walter, Werner Liebrich, Werner Kohlmeyer und Horst Eckel, denen das "Schwänzen" der ersten Tage des Trainingslagers genehmigt worden ist.
Die brasilianische Abordnung verlässt heute den südamerikanischen Kontinent Richtung Europa. Und ähnliches geschieht mit Borussia Dortmund und Heinrich Kwiatkowski: vom nordamerikanischen Kontinent kommend treffen sie an Bord einer KLM-Maschine wieder in Düsseldorf ein. In der Dortmunder Sportklause erhalten die Reisenden zur Begrüßung "Dicke Bohnen mit Speck", was nach dreiwöchigem "Huhn mit Reis" eine willkommene Abwechslung bildet. Für Kwiatkowski wird die Freude nur kurz andauern, denn auf Herbergers Speisezettel dominiert unter den Fleischsorten Geflügel und somit ... Huhn!
Mittwoch, 26. Mai 1954
Die zweite Anreisewelle erreicht Grünwald, darunter auch Rudolf "Rulle" Deinert, der einzige Berliner in Herbergers Kader. Dass die Oberliga Berlin schwächer eingeschätzt wird als die übrigen vier Ligen ist bekannt und manifestiert sich gerade im Verlauf der Oberliga-Vergleichsrunde, in der Berliner Clubs bislang nur einen Sieg aus 15 Spielen verbuchen können! Deinerts Club Tennis Borussia, das in den Jahren 1951 und 1952 noch Erster geworden ist, hat in der abgelaufenen Saison lediglich einen 6. Platz erreicht. Trotzdem gibt Herberger Deinert eine Chance und holt diesen nach Grünwald, wo er sich ein Zimmer mit dem Sodinger Gerdi Harpers teilt.
Donnerstag, 27. Mai 1954 - Christi Himmelfahrt
Der Siegener Herbert Schäfer verletzt sich im WM-Trainingslager von Grünwald und fällt dadurch für das bevorstehende Amateur-Länderspiel gegen Frankreich aus.
Fritz Walter hat endlich die Betreuung seiner Wäscherei regeln können und trifft mit vier Tagen Verspätung auf seine Nationalmannschaftskameraden. Wird er nach dem Debakel seines 1. FC Kaiserslautern noch die Kurve kriegen und vom Trainingslager profitieren können?
Die brasilianische Delegation, bestehend aus 22 Spielern und 19 Begleitern, landet in Zürich und reist von dort aus weiter zu ihrer Unterkunft in der Sportschule Magglingen. Das Ziel der Ungarn hingegen ist (neben dem WM-Titelgewinn) die Stadt Solothurn, die sie via Luxemburg zu erreichen versuchen, wo am Samstag ein weiteres Trainingsspiel stattfinden wird.
Freitag, 28. Mai 1954
Heute findet in Grünwald die erste Pressekonferenz zum Thema Nationalmannschaft statt. Das Fazit: Bauer, Posipal, Mai, Herbert Schäfer und Fritz Walter brauchen noch Schonung, Morlock muss Gewicht verlieren. Und Herberger erklärt noch einmal den Notfallplan, Ottmar, Liebrich, Erhardt oder Posipal zwischen die Pfosten zu stellen, sofern sich im Spiel der Torhüter verletzen sollte.
Auch zum ersten Mal in diesen Tagen dürfen sich die Kandidaten vor- wie nachmittags mit Ballarbeit beschäftigen. Bislang dominierten die Maßnahmen um die Verbesserung der Kondition.
Folgerichtig findet ein Spiel gegen die Liga-Elf des FC Bayern München statt, das 2:2 endet. Der vor kurzem bei den Bayern verabschiedete Jackl Streitle, der nicht nur die Juniorenauswahl betreut, sondern auch Herberger in Grünwald als Assistent dient, fungiert als Schiedsrichter.
Samstag, 29. Mai 1954
Erst heute und damit zum "Bergfest" des Trainingslagers gelingt es Ottmar Walter, sich dem Vorbereitungslehrgang anzuschließen. Bisher war es ihm nicht gelungen, für seine vor einigen Monaten in Betrieb genommene Tankstelle einen passenden Vertreter zu finden.
Das Trainingsspiel Luxemburg gegen Ungarn steht bis zur 41. Min überraschenderweise noch 0:0, endet dann aber standesgemäß mit 0:10 (0:3). Ein trotz des schwächeren Gegners imposantes Ergebnis, das allerdings Sepp Herberger nicht beeindrucken kann. Er hält nichts von vergleichbaren Sparringspartnern, da er befürchtet, der eigenen Mannschaft ein Gefühl der Überlegenheit zu vermitteln, das zur Unterschätzung ihrer Gegner führen und sich damit gefährlich auswirken kann.
Der Vorschlag des belgischen Fußballverbandes, bei der WM innerhalb der Gruppen Jeden gegen Jeden spielen zu lassen und nicht nur "Gesetzte" gegen "Ungesetzte" wird vom WM-Organisationsausschuss abgelehnt. Es bleibt bei der zeitsparenden Kompaktversion, die es ermöglicht, das gesamte Turnier innerhalb von drei Wochen abzuwickeln.
Sonntag, 30. Mai 1954
In Longwy endet ein Amateur-Länderspiel Deutschland gegen Frankreich mit 0:0. 8.000 Zuschauer sehen ein Spiel, in dem der Frankfurter Hans Weilbächer, der eben noch um einen WM-Startplatz kämpfte, nur anfangs und am Schluss so konzentriert agiert wie im letzten Meisterschaftsspiel gegen Köln. Der Spielausschussvorsitzende Hans Körfer begleitet die Mannschaft, die ohne ihren Kapitän Herbert Schäfer auskommen muss und die wie gewohnt von Jackl Streitle betreut wird.
In Grünwald hat das gnadenlose Konditionstraining erste Früchte getragen und sowohl Maxl Morlock als auch Werner Kohlmeyer fünf Pfund abnehmen lassen. Damit diese Erfolge Bestand haben, richtet sich das Gastronomenehepaar Schiller strikt nach Herbergers Bewirtungswünschen. Zudem lässt auch Herberger inzwischen Experimente mit "Sauerstoffatmung" anstellen. Die Lehrgangsteilnehmer spielen inzwischen mit den Original-WM-Bällen, die sich als ungewöhnlich hart herausstellen.
Auf das Ende der italienischen Meisterschaft folgt die Bekanntgabe des WM-Kaders. Schon weiter sind drei andere WM-Starter: In Wien schlägt die Auswahl Österreichs die Norwegens mit 5:0 (0:0), in Brüssel trennen sich Belgien und Frankreich mit 3:3 (3:2), und in Zürich schlägt die Schweiz durch drei Tore von Vonlanthen Holland mit 3:1 (2:1).
Montag, 31. Mai 1954
Ein gemeinsamer Besuch im Tierpark Hellabrunn steht heute auf dem Freizeitprogramm der Nationalmannschaft. Noch drei Tage dauert das Trainingslager, und die Gruppe der 22 kristallisiert sich langsam heraus. Verletzungen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Apropos Verletzung: Erich Retter hat die letzte Hoffnung begraben, die Abwehr der Nationalmannschaft in der Schweiz festigen zu können. Der Heilungsprozess dauert zu lange, und von der notwendigen Fitness ist er noch weit entfernt.
Frankreich beginnt heute sein Trainingslager in Savoyen, und England reduziert seinen Kader auf 22 Mann, wofür Herberger noch zwei Tage verstreichen lassen wird.
Die Ungarn haben sich schon länger vorbereitet: Im Spätherbst endete die ungarische Meisterschaft. Nach einem kurzen Urlaub trainierten die Nationalspieler ab dem Jahresbeginn drei- bis viermal wöchentlich zusammen - die Deutschen trainieren genauso häufig, aber in ihren Vereinen - und absolvierten zahlreiche Trainingsspiele gegen unterklassige Gegner. Anfang Februar folgte für den Kern der Nationalmannschaft eine Ägyptenreise, wo ebenfalls Spiele stattfanden. Danach begann die neue Vereinssaison, allerdings unter starker Rücksichtnahme auf den Trainingszustand der Auswahlspieler, deren Bestform systematisch herausgezögert wurde.
Grundsätzlich werden Spielzüge durch vielfache Wiederholung so intensiv eingeübt, dass sich die Spieler buchstäblich im Schlaf verstehen. Die Spieler Grosics, Bozsik, Hidegkuti und Puskas sind mit für die Gestaltung der Trainingspläne verantwortlich und verhindern dabei, dass Langeweile aufkommt und vielmehr durch andauernden Wettstreit permanent der Ehrgeiz unter den Trainierenden gefördert wird. Hinzu kommen gute ärztliche und psychologische Betreuung sowie materielle Absicherung, die die Spieler sorgenfrei trainieren lässt. Zumindest, solange sie sich durch Trainingseifer dieser Privilegien würdig erweisen.
Dienstag, 1. Juni 1954
Der WM-Kader Englands begibt sich in ein dreitägiges Trainingslager in Roehampton. Der wachsende Zuschauerschwund in englischen Stadien und die Blamagen gegen Ungarn rufen die Kritiker des herrschenden Systems auf den Plan. Offenbar hat das Mutterland des Fußballs den Anschluss verpasst und sich leistungsmäßig von einigen Mannschaften überholen lassen. In Debatten um Änderungen, die den Erfolg wiederbringen könnten, wird dem ungarischen System nachgeeifert: mit Dauertraining für die Auswahlspieler, damit sie aufeinander eingespielt werden können, und Erleichterungen, die mehr Zeit und Konzentration auf den Fußball ermöglichen sollen.
Mittwoch, 2. Juni 1954
An "Rulle" Deinerts 26. Geburtstag endet der Grünwalder WM-Lehrgang. Außer ihm haben es auch sechs weitere Spieler nicht in den Kader geschafft: Herbert Schäfer laboriert an einer Knieverletzung und steht zudem im Schatten von Posipal und dem auftrumpfenden Liebrich. Jupp Röhrig erleidet einen Sehnenanriss, gegen Gerdi Harpers spricht u.a. die Vielseitigkeit Metzners. Auch Baumann ist seit Wochen verletzungsanfällig und wird aussortiert. Ähnliches gilt für Richard Gottinger, und Hans Weilbächer muss nach Information des "kicker" erst in allerletzter Stunde Uli Biesinger weichen. Am Mittag trennen sich die Lehrgangsteilnehmer, und Herberger gibt den 22 Glücklichen individuelle Trainingsaufgaben für Übungen mit, die sie während ihrem Heimaturlaub alle zwei Tage absolvieren müssen.
In der Kölner Rundschau zitiert man aus einem Leserbrief von Jupp Posipal, der sich an der immer wiederkehrenden Kritik stört, dass Vertragsspieler keinen Sportsgeist hätten, weil sie Geld verdienen. Um Geld zu verdienen, solle man vom Fußball lassen, rät der Kontinentstopper. Das ginge sicherlich schneller.
Donnerstag, 3. Juni 1954
"Vor dem Start in die Schweiz" lautet eine Live-Sendung im NWDR-Fernsehfunk, in der Sepp Herberger, der DFB-Präsident Peco Bauwens, der Schiedsrichter und WM-Teilnehmer Emil Schmetzer, der Vorsitzende des Schiedsrichterausschusses Degenhard Wolff und für die Mannschaft dessen Schwiegersohn Hans Schäfer zu Worte kommen. Moderiert wird die Sendung von Dr. Bernhard Ernst, der auch die bevorstehenden Weltmeisterschaftsspiele im Deutschen Fernsehen kommentieren wird.
Fritz Walter reist derweil mit seiner Gattin Italia und seinen Trainingssachen nach Obertal in den Schwarzwald. Die traute Zweisamkeit unterbricht er pflichtbewusst und regelmäßig, indem er täglich nach dem Frühstück vier 1000m-Läufe mit Zwischenstarts absolviert.
England hat sich entschlossen, lediglich 17 Spieler in die Schweiz mitzunehmen.
Freitag, 4. Juni 1954
Der Fürther Richard Gottinger wird heute 28 Jahre alt. Zwei Tage nach der Nichtnominierung für die Schweiz dürfte ihm weniger zum Feiern zumute sein. Besonders, da heute in den Zeitungen der 22er-Kader veröffentlicht wird. Nicht überraschend aber auffällig ist der Block aus Kaiserslauterer Spielern, die mit fünf Akteuren als einzige Fraktion derart zahlreich vertreten ist. Mit Kohlmeyer in der Verteidigung, Liebrich und Eckel im Mittelfeld sowie Fritz und Ottmar Walter im Sturm erstreckt sich das Pfälzer Skelett durch die gesamte Mannschaft - sofern alle Fünf zum Einsatz kommen. Von Werner Liebrich ist nämlich momentan keine Rede, da der etatmäßige Mittelläufer Jupp Posipal diese Position mit Recht für sich beansprucht. Schon seit Wochen rätseln die Experten, wie man beide Spieler in dieselbe Mannschaft einbauen könnte, ohne sie ihres optimalen Nutzens zu berauben, denn Einer von ihnen müsste dann in die Verteidigung oder auf einen Außenläuferposten rutschen, wo sie andere Aufgaben erwarten.
Posipal ist neben Laband einer von zwei HSVern im Kader, und da Beide Defensivspieler sind, käme ihre gemeinsame Spielpraxis der Hintermannschaft zugute. Ansonsten gibt es mit Karl Mai und Herbert Erhardt noch zwei Fürther, die als linker Außenläufer und linker Verteidiger auf dem Spielfeld ebenfalls gemeinsame Berührungspunkte haben. Gleiches gilt für die zwei Kölner Paul Mebus (linker Außenläufer) und Hans Schäfer (linker Außenstürmer). Alle übrigen Spieler repräsentieren ihren Heimatverein alleine.
Die Ungarn werden heute im Hotel Krone in Solothurn erwartet. Die Delegation besteht aus 55(!) Mann, ist damit aber noch nicht vollzählig. Es fehlen noch sechs Spieler, drei Trainer und einige Offizielle.
Samstag, 5. Juni 1954
Die Delegation Mexikos, das sich in der Qualifikation gegen die USA und Haiti durchsetzen konnte, trifft heute in Genf ein und bezieht sein Standquartier in St. Cergues.
Die brasilianische Mannschaft bestreitet zur Freude der Schweizer Bevölkerung Trainingsspiel auf Trainingsspiel, beeindruckt mit Eleganz und Ballfertigkeit und schlägt die in der Nachbarschaft wohnende Mannschaft aus Biel problemlos mit 5:0. Zudem tritt man noch gegen sich selbst an: Die erste Elf Brasiliens misst sich mit der zweiten Elf - und unterliegt mit 0:4!
Helmut Rahn nimmt, womit er wahrscheinlich sich selbst am meisten überrascht, Sepp Herbergers individuelle "Hausaufgaben" ernst, absolviert fleißig sein Trainingsprogramm und tritt vor allem beim Essen kurz, um die im Trainingslager erreichte Form nicht aufs Spiel zu setzen. Und das über Pfingsten!
Pfingstsonntag, 6. Juni 1954
Der deutsche 22-Mann-Kader, der bereits am Freitag in den Tageszeitungen veröffentlicht wurde, wird heute dem WM-Veranstalter gemeldet und ist somit bindend. Etwaige Verletzte können jetzt nicht mehr ersetzt werden.
In Saarbrücken gewinnt die Saar zwar das Eckenverhältnis gegen Uruguay mit 7:1, unterliegt aber mit demselben Ergebnis in Toren. Der auch von Fritz Walter bewunderte uruguayische Star Schiaffino trifft allein viermal.
Die Österreicher arbeiten in ähnlicher Weise am Respekt ihrer Gegner und schlagen in Wien den AC Mailand mit 7:0.
Übertroffen werden diese Ergebnisse sicherlich durch das folgende: FC Solothurn gegen Ungarn 1:17.
Den Fürther Richard Gottinger hat der Alltag eingeholt — er mischt mit der SpVgg in der Oberliga-Vergleichrunde mit und erzielt beim 3:1 gegen den Meidericher SV sogar den Zwischenstand zum 2:0.
Pfingstmontag, 7. Juni 1954
Das seit vielen Monaten umgebaute Berner Wankdorfstadion wird heute mit der Begegnung Young Boys Bern gegen Ungarn feierlich eröffnet. Das 0:9-Endergebnis ist besonders für die Platzherren ein nachhaltiges Erlebnis. Ihr Spielertrainer Albert Sing, der bereits für die Betreuung der deutschen Nationalmannschaft in den Startlöchern steht, ist trotz seiner langjährigen Erfahrung vom Spielvermögen der Ungarn so verblüfft wie beeindruckt. Obwohl sein Team ohne seine fünf Schweizer Nationalspieler antritt, die bis zum WM-Beginn gesperrt sind, versucht Sing nicht, den Ungarn ihre Fähigkeiten abzusprechen und bringt ihre Stärke auf einen einfachen Nenner: besonders im Gegensatz zu den südamerikanischen Spielern sind ihre Tricks mannschaftsdienlich!
Die Ausbaukosten des Wankdorfstadions betragen 3,5 Millionen Franken, davon entfallen 1,4 Millionen auf die Tribüne, 1,5 Millionen auf die Seitenrampen und die Uhrentürme. 700.000 Franken kosteten die Erdbewegung, Spielfelder, Straßen und Plätze, Stufen und Umzäunung. Die hochmoderne Anlage wartet mit einem großen Restaurant, einer Milchbar, einem Buffet, acht Garderobenräumen (mit 50 Duschen), Schiedsrichterkabinen, Massageraum, Warm- und Kaltwasserbassins, einer Trainingshalle, zwei Wohnungen, einem Clublokal, einem Verstärkerraum und fünf Radioreporterkabinen auf. Zusätzlich gibt es Räume für Kurse und 100 Betten für Einquartierungen. Am 17. Juni werden sich hier Deutschland und die Türkei, und am 4. Juli die Finalisten gegenüberstehen.
Dienstag, 8. Juni 1954
Der "kicker" wirft in seiner heutigen Ausgabe dezente Blicke in das Privatleben der 22 Auserwählten für den deutschen WM-Kader: Italia Walter plant den Besuch in der Schweiz und rechnet mit einem guten Abschneiden der Mannschaft, Gisela Kubsch muss sich daheim in Pirmasens um das Geschäft kümmern, hat aber Bekannte mit einem Fernsehgerät, Anneliese Walter, die Gattin von Ottmar, wird von der Tankstelle ihres Gatten in Anspruch genommen, da Beide für die Tankstelle des verletzen Kollegen Erich Retter einen Mitarbeiter abgestellt haben, und Gerti Rahn muss sich um den erst elf Wochen alten Uwe Rahn kümmern. Gisela Posipal, Gerdi Liebrich und Lotti Laband werden mit ihren Kindern in die Ferien fahren und am jeweiligen Ferienort Radio hören, und Wilhelmine Turek will das bei ihren Eltern tun. Die noch nicht von Mutterpflichten in Anspruch genommene Isis Schäfer hingegen kann die Zeit in der Nähe von Spiez verbringen, um mit ihrem Hans danach dort Urlaub zu machen.
Erich Retter wird nach seiner Operation heute aus dem Krankenhaus entlassen. Vor WM-Beginn, aber dennoch viel zu spät. Zum einen, weil sein Trainingsrückstand unermesslich ist, zum anderen, weil der deutsche Kader vor zwei Tagen offiziell gemeldet wurde. Ohne Retter!
Der englische WM-Kader sammelt sich heute in London, um sich in zwei Tagen auf die Reise zu begeben.
Mittwoch, 9. Juni 1954
Am 34. Geburtstag von Paul Mebus versammelt sich der deutsche WM-Kader in der Sportschule Schöneck bei Karlsruhe und wird einheitlich eingekleidet. Die Maße sind bereits in Grünwald ermittelt worden. Zur Ausrüstung gehören: graue Hose, grünes Sakko mit dem DFB-Wappen, Hemd, Krawatte, Schuhe und — zum Spaß Aller - ein Hut! Hinzu kommen einheitliche aber maßgeschneiderte Trainingsanzüge sowie Laufschuhe, Trikots, Hosen und Schultertaschen. Leichtes Konditionstraining komplettiert den Tag.
Der Kader des WM-Gastgebers Schweiz bezieht derweil die Sportschule in Magglingen, wo auch Brasilien untergebracht ist. Die Österreicher ihrerseits werden heute in Baden bei Zürich erwartet.
Rot-Weiss Essen ist nach Spielen in Peru, Ekuador, Kolumbien, Costa Rica und Venezuela jetzt in den USA angelangt und absolviert dort heute das erste Spiel gegen eine Auswahl des DAFB. Trotz mehrerer verletzter oder abgereister Spieler gelingt ein 9:1-Sieg.
Donnerstag, 10. Juni 1954
In der Sportschule Schöneck komplettieren fünf Funktionäre am Abend die deutsche WM-Expedition: DFB-Präsident Dr. Peco Bauwens und sein Vertreter Hans Huber, der FIFA-Beauftragte Dr. Georg Xandry, der Spielausschussvorsitzende Hans Körfer und Spielausschussmitglied Hans Deckert. Neben den 22 Spielern reist natürlich noch ein Trainerstab mit in die Schweiz: Bundestrainer Herberger wird von Masseur Erich Deuser und Mannschaftsarzt Dr. Franz Loogen unterstützt. Letzterer ist gerade erst zur Mannschaft gestoßen, nachdem ein fest eingeplanter, anderer Mediziner Herberger kurzfristig einen Korb gegeben hat. Mit eigenem PKW und schwerem Gepäck reist der Sportschuhspezialist Adi Dassler nach Spiez: der von ihm neu kreierte Schraubstollenschuh in 22facher Ausführung benötigt Platz.
Die Mannschaft der Tschechoslowakei verlässt heute ihre Heimat Richtung Schweiz. Ähnlich geht es der Expedition Südkoreas, die sich allerdings schon in Tokio befindet.
Sechs Tage vor dem Eröffnungsspiel Frankreich gegen Jugoslawien befinden sich also erst 6 von 16 Teams am Ort des Geschehens.
Freitag, 11. Juni 1954
Um 11 Uhr 38 reist die deutsche Expedition in einem Sonderabteil des planmäßigen D-Zuges von Karlsruhe nach Basel. Die Schweizer Zollbeamten rechnen mit einem baldigen Wiedersehen. Sie sind nicht die Einzigen, die der Mannschaft nicht viel zutrauen
In Basel werden die Deutschen bereits vom Schweizer Verbandspräsidenten und Cheforganisator Dr. Ernst Thommen erwartet. Nach einem Begrüßungstrunk im Bahnhofsbuffet erfolgt die Weiterfahrt zum Thuner See mit einem Omnibus, der von den Ulmer Magirus-Werken gesponsert wird. Der Weg führt über Bern, wo Herberger seinen Spielern das Wankdorf-Stadion zeigt. Sechs Tage später soll hier das erste Gruppenspiel gegen die Türkei stattfinden.
Erst nach 21 Uhr erreicht der Trupp sein Ziel — das idyllische Berghotel Belvedere im Kurort Spiez am Südufer des Thuner Sees. Fernab vom Trubel der Großstädte soll der Kader hier Ruhe, Konzentration und
zu sich selber finden.
Südkoreaner, Türken und Franzosen verkünden heute ihre WM-Kader. Die Mexikaner sind wegen der nasskalten Witterung nach Nyon umgezogen.
Sonnabend, 12. Juni 1954
Die Expedition Jugoslawiens reist heute von ihrem Trainingslager in Ljubljana zum WM-Quartier nach Yverdon in der Schweiz. Ebenfalls heute wird das Eintreffen Schottlands erwartet.
Der "Arbeitstag" der Deutschen beginnt um 7 Uhr mit einem Lauf am See entlang ins 13 Kilometer entfernte Thun und zurück. Nach ersten Massagen gibt es um 8 Uhr Frühstück. Um 9 ist Bewegung im Park angesagt, und um 10 setzt sich der Mannschaftsbus in Bewegung zum Stadion von Thun. 10 Uhr 30 folgt eine eineinhalbstündige Trainingseinheit (nachdem die Uruguayer ihr Training beendet und Helmut Rahn erkannt und begrüßt haben, mit dem sie gerade noch in ihrer Heimat zu tun hatten). Albert Sing kümmert sich dabei um die "Ersatzleute" und die Torhüter. Nach ein paar Runden mit Zwischenstarts auf der Aschenbahn kommt der Ball zu seinem Recht: im Spiel "Fünf gegen Fünf" oder "Sturm gegen Hintermannschaft".
Mittagessen um Eins, Mittagsruhe um Zwei, Kaffeetrinken um Drei.
Ab Vier ist wieder Bewegung vorgeschrieben, die wieder aus Läufen am Seeufer oder einfach aus Spaziergängen bestehen kann. Heute um 18 Uhr messen sich die Uruguayer mit einer Stadtauswahl des FC Thun — sowohl die Deutschen als auch die Ungarn verfolgen dieses Spiel aufmerksam. Beiden Mannschaften sind noch nicht zu viele südamerikanische Nationalmannschaften begegnet.
Sonntag, 13. Juni 1954
Die Nationalmannschaft Österreichs hat inzwischen ihr WM-Quartier in Baden bei Zürich bezogen. In Lustenau absolviert sie ein Trainingsspiel gegen die Arlberg-Auswahl.
Die Franzosen beenden erst heute ihr Trainingslager und treffen in Dully ein, einem kleinen Ort nahe Genf, wo sich in einem jahrhundertealten Schloss, dem Chateau de Dully, ein Hotelbetrieb befindet.
Während die Engländer heute ihr Quartier in Luzern erreichen, machen sich die Türken wiederum erst auf den Weg nach Lausanne.
Im neuen Stadion Charmilles treffen der Heimverein Servette Genf und Ungarn aufeinander. Das 8:2 der Gäste fügt sich nahtlos in die Ergebnisreihe ihrer bisherigen Testspiele. Wer soll diese Ungarn stoppen?
Das Trainingsprogramm der Teilnehmer erweist sich als ziemlich verschieden: während Herberger die Deutschen nicht mehr scharf trainieren lässt, investiert die Türkei hierin täglich eine Stunde, Österreich nach 17 Uhr sogar zwei Stunde. Die Ungarn hingegen frühstücken um Neun, haben bis 11 Uhr Freizeit, die sie u.a. Zeitung lesend verbringen, und lassen sich danach mit Sebes Mercedes im Pendelverkehr zum Training chauffieren. Nach eineinhalb Stunden Training wird warm gebadet, nach dem Mittagessen um Eins herrscht von Zwei bis Vier Ruhezwang. Danach ist Ausgang in Gruppen möglich, desgleichen nach dem Abendessen.
Vermischtes: Der jugoslawische Torhüter Beara präsentiert sich beim Training in Topform, der Altersdurchschnitt bei den Tschechen liegt bei 24 Jahren, die Franzosen beklagen zwei verletzte Torhüter, und die Delegation Mexikos stiftet einen wertvollen Silberbecher für den erfolgreichsten Torschützen des Turniers.
Ach ja, und die Stadt Basel bittet ihre Bevölkerung um die Bereitstellung privater Unterkünfte.
Montag, der 14. Juni 1954
Die Expedition der Türkei erreicht heute ihr Standquartier in Lausanne. Die Schotten überraschen mit der Maßnahme, nur mit 13 Spielern in die Schweiz zu reisen.
Die deutschen Sportjournalisten sehen nahezu einstimmig Ungarn als Favoriten und werten die eigene Mannschaft als achtstärkstes Team (von 16). Die deutschen Sportjournalisten nehmen auch wahr, dass der ungarische Verbandstrainer Sebes einen nagelneuen Mercedes 300 fährt.
Beim Vormittagstraining der Deutschen stehen Kwiatkowski und Kubsch im Tor. Letzterer wird mit vier Bällen gleichzeitig beschossen. Schweizer Buben bringen sich als Balljungen ein, und nachdem das Stellen der Freistoßmauer in Strafraumhöhe geübt worden ist, spielen für zweimal fünf Minuten Team A gegen Team B, so dass alle 22 Spieler zum Einsatz kommen. Bei drei Torhütern muss sich allerdings einer fachfremd betätigen: Toni Turek spielt Rechtsaußen.
Fritz Walter ist wieder gesund. Wieso wieder? Das Geheimnis seiner Formschwäche im verlorenen Endspiel gegen Hannover wird jetzt gelüftet: Fritz litt an einem Abszess am Gesäß. Doch Mannschaftsarzt Dr. Loogen ist mit der richtigen Salbe ausgerüstet und hat den deutschen Mannschaftskapitän von seinen Leiden erlöst.
Das Organisationskomitee der WM betont erneut, dass keine Auswechslung möglich sein wird. Nicht einmal die Auswechselung eines Torhüters, wie es die Schweizer vorschlugen.
Dienstag, 15. Juni 1954
Nach elfstündiger Bahnfahrt erreicht Belgiens Expedition als letzte die Schweiz. Auch DFB-Präsident Peco Bauwens ließ noch auf sich warten und bezieht erst heute sein Zimmer im Hotel Belvedere.
Bundestrainer Sepp Herberger gibt gegenüber der Presse die deutsche Aufstellung für das erste Gruppenspiel gegen die Türkei bekannt: Toni Turek darf wie gewohnt ins Tor, neben Werner Kohlmeyer wird Fritz Laband in der Verteidigung sein zweites Länderspiel bestreiten, Horst Eckel, Jupp Posipal und Karl Mai bilden die Läuferreihe, und neben Hans Schäfer, Fritz und Ottmar Walter sowie Max Morlock wird der Schalker Bernie Klodt den Sturm komplettieren.
Chaos in Bern: eine unscheinbare Holzhütte bildet das Pressezentrum und ist dem enormen wenngleich nicht wirklich überraschenden Ansturm internationaler Journalisten nicht gewachsen. Der zuständige Beamte ist völlig überfordert, es herrscht ein riesiges Durcheinander. Und für unzählige Journalisten beginnt die WM ohne Pressekarten.
Mittwoch, 16. Juni
In Lausanne begrüßt Jules Rimet die Fußballbegeisterten aus Nah und Fern. Nach der Schweizer Hymne ergreift Bundespräsident Dr. Rodolphe Rubattel das Wort und erklärt die Spiele für eröffnet. Um 18 Uhr werden die ersten vier Rundenspiele angepfiffen: In Lausanne überrascht das ungesetzte Jugoslawien das gesetzte Frankreich und besiegt es mit 1:0. In Genf begeistern die Brasilianer ihre Zuschauer mit einem 5:0-Sieg über die ähnlich weitgereisten Mexikaner. In Bern schlägt der Titelverteidiger Uruguay (vor den Augen des Titelfavoriten Ungarn) die Tschechoslowakei mit 2:0, und in Zürich müht sich Österreich zu einem 1:0 über die Schotten.
Fritz Walter und Werner Liebrich lassen sich von Hoteldirektor Jean Urben zu einem Radiogeschäft fahren, in dem es ein TV-Gerät gibt und sehen sich die erste Halbzeit des Eröffnungsspiels an. Nur die erste Hälfte, denn um 19 Uhr gibt es im Belvedere Abendbrot, auf dessen Einhaltung Herberger großen Wert legt.
Donnerstag, 17. Juni 1954
Hans Schäfer hat seine Gattin Isis für eine Woche im Kurhotel Eden untergebracht. Die Eheleute rechnen nicht mit dem Überstehen der Vorrunde und wollen direkt an das Turnier-Aus einen Urlaub in Italien anschließen. Da die Hotels in Sichtweite voneinander liegen, kann Schäfer nachts von Zimmer zu Zimmer Lichtsignale geben. Eine Begegnung vor den Augen Herbergers ist tunlichst zu vermeiden!
Der Veranstalter bestaunt 1.085 akkreditierte Journalisten, deren Löwenanteil von Schweizer Nationalität ist. Nach diesen bilden die 150 Deutschen die stärkste Fraktion. 110 Italiener, 61 Brasilianer und 60 Engländer folgen auf den Rängen.
Der heutige Fronleichnam wird übrigens von den Uruguayern begangen. Nur gut, dass sie bereits gestern spielen mussten. Ihr Star Schiaffino erwägt, nach Italien zum AC Mailand zu wechseln.
Das Flugzeug, das die Filmaufnahmen von Brasilien gegen Mexiko nach Zürich transportierte, ist abgestürzt. Die drei Insassen sind tot.
Herberger versammelt vor dem Mittagessen seine Spieler um sich und gibt die endgültige Mannschaftsaufstellung bekannt. Sehr zur Enttäuschung von Helmut Rahn, der sich darin nicht wiederfindet.
Während sich die Deutschen um 13 Uhr einem Hühnergericht widmen, öffnet das Wankdorfstadion bereits seine Pforten. Die Zeit der Mittagsruhe bedeutet für Erich Deuser Höchsteinsatz: er geht von Zimmer zu Zimmer und macht bei den Elf, die zum Einsatz kommen werden, Auflockerungsmassagen. Nach dem Kaffeetrinken geht es zum Wankdorfstadion, wo Bauwens gegen halb sechs die Trikotwahl für die deutsche Equipe gewinnt: die Türkei muss in ihren roten Trikots mit den weißen Bruststreifen spielen.
Um 18 Uhr beginnt das Spiel. Vor 5.000 deutschen Zuschauern gewinnt Fritz die Platzwahl. Trotz eines Fieberanfalls ist auch Karl Mai mit von der Partie.
Der 4:1-Sieg, bei dem jeder deutsche Stürmer außer Fritz Walter ein Tor erzielt, verschleiert das einstündige Bangen der deutschen Zuschauer, ob denn mehr als ein Unentschieden möglich ist. Im Gegensatz zu seinem Hamburger Teamkameraden Laband überzeugt der "Kontinentstopper" Posipal nicht. Klodt harmoniert prächtig mit Morlock und rechtfertigt seine Aufstellung anstelle von Rahn. Auf dem anderen Flügel kämpft Schäfer immerhin beherzt, während Fritz Walter sich auf die Dirigentenrolle reduziert, Zweikämpfe meidet und sich seine Kräfte einteilt.
In Zürich lässt Ungarn den Südkoreanern beim 9:0 nicht die geringste Chance, in Basel trennen sich England und Belgien überraschend mit 4:4, und in Lausanne nutzt die Schweiz ihren Heimvorteil zum 2:1 gegen den zweifachen Weltmeister Italien.
Um 20 Uhr geben die Deutschen noch bereitwillig Autogramme für ihre Schlachtenbummler, eine Stunde später wird ihnen zum Abendessen ein Glas Bier genehmigt, und um 22 Uhr treffen erste Glückwunschtelegramme im Hotel Belvedere ein. Jetzt beginnt die Arbeit für Erich Deuser, der den elf Aktiven mit seiner Unterwassermassage zu einer schnelleren Regeneration verhelfen kann. Auf Kosten seiner Nachtruhe, mit der erst weit nach Mitternacht zu rechnen ist.
Freitag, 18. Juni 1954
Nach den ersten Spielen hat sich die deutsche Mannschaft zum Außenseiter Nummer Eins gemausert. Und Ungarn ist jetzt klarer Favorit und zwar vor Uruguay, Brasilien und Jugoslawien. Für Südkorea ergibt sich nach dem 0:9 eine Wettquote von 1000 zu 1!
Den deutschen Kader erwartet ein Arbeitstag: Bereits um halb sieben Uhr früh finden sich die ersten Spieler zum Pedalofahren auf dem Thuner See. Aber nicht alle von ihnen sind Raucher, die sich Herbergers mahnendem Blick zu entziehen versuchen.
Deuser ist vor und nach dem Frühstück am Massieren, und die Elf vom Türkeispiel darf heute frei trainieren. Auch die elf Übrigen machen nur leichte Übungen, um vor einem eventuellen Einsatz gegen Ungarn nicht zu sehr geschwächt zu werden.
Im Gegensatz zu den ersten Tagen ergießt sich heute ein großer Besucherstrom nach Spiez. Darunter der Berliner Sportjournalist Günter Weise, der bis auf den fiebergeschwächten Karl Mai niemanden antrifft: die Nationalspieler haben sich nach ihrer Freizeit, die sie mit Kartenschreiben, Federball, Schach oder Skat verbracht haben, ein Boot gemietet und kommen erst abends zurück. Auch an diesem Tag ereignet sich bei einem Wettlauf um das letzte freie Ruderboot ein Missgeschick, bei dem der Nichtschwimmer Kwiatkowski in den Thuner See fällt und sein Zimmernachbar Kubsch unglücklich stürzt und sich die Schulter prellt. Großes Pech für ihn, der zwei Tage darauf anstelle von Turek zwischen die Pfosten sollte.
Sonnabend, 19. Juni 1954
In der gesamten Schweiz herrscht drückende Hitze. Am meisten beklagen sich die Schotten über "das reinste Uruguay-Wetter!"
In der Kölner Rundschau wird darüber spekuliert, dass die deutsche linke Sturmseite Fritz Walter/Hans Schäfer gegen den Frankfurter "Traumsturm" Alfred Pfaff/Richard Herrmann ausgetauscht werden wird.
Einige der Offiziellen der deutschen Expedition fahren heute nach Lausanne, um sich das Aufeinandertreffen der Mitfavoriten Jugoslawien und Brasilien nicht entgehen zu lassen. Im Falle des Überstehens der Vorrunde könnte sich aus diesen zwei Teams ein etwaiger Viertelfinalgegner rekrutieren. Das Spiel endet 1:1, was beide Mannschaften in die nächste Runde hievt. Das 3:2 von Frankreich in Genf gegen Mexiko bleibt ein Muster ohne Wert. Für beide Teams ist die Weltmeisterschaft nach einer Woche bereits wieder beendet.
Deutlicher fällt die Entscheidung in der Gruppe 3 aus: Das 5:0 Österreichs in Zürich gegen die Tschechen und das 7:0 der Uruguayer gegen Schottland in Basel sorgen für mehr als klare Verhältnisse. Die Gesetzten erreichen ungeschlagen die Runde der letzten Acht, und die Ungesetzten müssen sich erwartungsgemäß verabschieden.
Um 19 Uhr ruft Herberger zur Mannschaftssitzung: ein bereits vor Monaten gefasster Plan sieht vor, einen Großteil der Türkei-Besieger zu schonen, um bei einem vermutlich notwendigen Entscheidungsspiel gegen denselben Gegner (das Reglement gilt schon für 54er-Verhältnisse als merkwürdig) die stärkste und gesündeste Elf aufbieten zu können. Auffälligste aber auch unpopulärste Maßnahme ist, den kompletten Sturm auszutauschen, d.h. die Frankfurter Herrmann und Pfaff auf der linken Seite, den wirklichen Benjamin Uli Biesinger als Mittelstürmer, und den vielseitigen Karl-Heinz Metzner neben dem Draufgänger Helmut Rahn auf dem rechten Flügel. Turek wird durch Kwiatkowski ersetzt, Laband durch den Münchener Bauer, und Liebrich soll neben Posipal und Mai die Läuferreihe bilden. Fritz Walter wird sich später an eine andere Konstellation erinnern: Mai sei als Halbstürmer geplant gewesen. Da er aber seit zwei Tagen mit 39,5 Fieber im Bett liegt, rutscht Eckel auf die Position des rechten Halbstürmers. Linker Läufer wird übrigens Mebus. Und Mittelstürmer Fritz Walter, was schon gegen das Saarland keine gute Idee war...
Sonntag, 20. Juni
Jupp Posipal wird heute 27 Jahre alt. Ein Geburtstag, der ihm ewig in Erinnerung bleiben soll. Um 8 Uhr 30 beginnt die Fahrt im Mannschaftsbus nach Basel. Um 12 Uhr bezieht man Quartier im nahegelegenen Rheinfelden, wo Albert Sing für die Mannschaft Zimmer bestellt hat. Zum Mittagessen erhält das Team Besuch vom Rekonvaleszenten Erich Retter, dem die obligatorische Hühnermahlzeit weniger aus den Ohren kommt als den in Spiez Stationierten. Die Mittagsruhe wird bald von Deusers Massagevisite unterbrochen. Es ist drückend heiß!
Das ist auch kurz vor 17 Uhr noch der Fall, als vor den Augen der Jugoslawen, der Uruguayer und von 30.000 deutschen Schlachtenbummlern vom Stadionsprecher die deutsche Aufstellung bekannt gegeben wird. Die aus allen Teilen der Republik Angereisten reagieren empört und verärgert über die deutschen Spielernamen. Sie haben viel Geld ausgegeben, um die Besten zu sehen. Und das sind ihrer Meinung nach nicht die elf Spieler, die im St. Jakob-Stadion auflaufen.
Kwiatkowski, der sein erstes A-Länderspiel bestreiten darf, und Liebrich wirken nervös, Metzner und Biesinger nehmen auf der Gegentribüne Platz, genau wie Charly Mai, der Besuch von seiner Verlobten hat und mit ihr zusammen, trotz Fiebers, vergnügt über die Aschenbahn flaniert. Wofür er sich von Herberger später einen Rüffel gefallen lassen muss. Auch Marta Mebus und Edith Pfaff nutzen den Sonntag zu einem Besuch im grenznahen Basel und beweisen Gespür für Timing, da ihre Gatten gegen die Ungarn auflaufen dürfen.
Puskas gewinnt die Platzwahl, Deutschland stößt an, der Rest ist Geschichte. Mit 3:8 wird die deutsche Elf deklassiert, Liebrich verletzt Puskas, Mebus verletzt sich selbst und humpelt bis zum Spielende an der Seitenlinie mit, Kohlmeyer beklagt einen blutunterlaufenen Fußnagel, Fritz eine "lädierte Gesäßpartie", Pfaff einen kurz vor der Halbzeit "umgeknaxten linken Knöchel". Die deutschen Schlachtenbummler fordern zwar Herbergers Kopf, aber Rahn, Pfaff und Herrmann zeigen mit ihren Toren die Verwundbarkeit der ungarischen Abwehr auf...
Puskas äußert nach dem Spiel Unverständnis über Liebrichs Härte bei einem Spielstand von 2:5, und Sebes darüber, dass die Deutschen bei dieser Hitze das Tempo forcieren konnten. Der Berliner Sportjournalist Weise will allerdings beobachtet haben, dass Puskas nach Liebrichs Foul weiterspielte und erst nach einem Zusammenstoß mit Mebus ins Humpeln gekommen sei. Fritz und Liebrich besuchen Puskas in der ungarischen Umkleidekabine. Sein Knöchel ist geschwollen.
Da die Türkei erwartungsgemäß Südkorea schlägt, und zwar mit 7:0, müssen die punktgleichen Deutschland und Türkei sich in ein paar Tagen erneut miteinander messen. In der Gruppe 4 gelingt England mit dem 2:0 in Bern gegen die Schweiz der Einzug ins Viertelfinale, und Italien erzwingt in Lugano durch ein 4:1 gegen Belgien ein Entscheidungsspiel gegen die Eidgenossen.
Das Abendessen im Hotel Salinen bringt den Spielern trotz der blamablen Niederlage das ersehnte Glas Bier, kann die Stimmung aber nur unwesentlich verändern. Als die Gruppe die Heimfahrt nach Spiez antritt, gibt Herberger Turek, Mai, Schäfer, Ottmar Walter, Morlock und Klodt zu verstehen, dass sie für das Entscheidungsspiel in die Mannschaft zurückkehren werden. Für Rahn ist die Aussicht auf ein weiteres Spiel auf der Tribüne ernüchternd.
Um Mitternacht lost ein Delegierter Uruguays die Viertelfinalpaarungen aus. Erst nach ein Uhr nachts hält der deutsche Mannschaftsbus vor dem Belvedere. Erfreulicherweise stehen kalte Platten für die Spieler bereit. Und Erich Deuser lässt schon mal warmes Wasser in seine Massagewanne laufen...
Montag, 21. Juni 1954
Zum Frühstück am "Morgen danach" gibt sich Fritz Walter gut gelaunt und bemüht sich um die Stimmung in der Truppe. Herberger fragt seine Schützlinge nach ihren Wünschen fürs Mittagessen und bekommt ein vollmundiges "ungarisches Gulasch" zu hören.
Beim Vormittagstraining wird die Mannschaft "bewegt". Erneut werden diejenigen, die am Vortag zum Einsatz kamen, geschont. Der Nachmittag bedeutet Freizeit. Die Fülle an anklagenden oder beleidigenden Telegrammen und Postkarten für Herberger sowie die negativen Presseberichte üben Druck auf die Spieler aus. Möglicherweise heute formiert sich der von Helmut Rahn so benannte "Club der Unzufriedenen", der aus Spielern besteht, die sich als Kanonenfutter fühlen, weil sie gegen die Ungarn den Kopf hinhalten mussten, nicht aber gegen die Türkei glänzen dürfen. Diese Truppe büxt abends aus dem Belvedere aus und gönnt sich in einer entlegenen Gastwirtschaft irgendwo am Thuner See ein paar Gläser Bier. Neben Rahn sind Pfaff, Herrmann und Mebus für den "Club" prädestiniert. Im erweiterten Kreis befinden sich Metzner und Biesinger sowie Bauer und Erhardt. In drei Fällen entspricht das kompletten Doppelzimmern. Rahns Abwesenheit dürfte Fritz Walter für sich behalten haben. Klare Bekenntnisse dazu gibt es außer von Rahn leider von Niemandem.
Dienstag, 22. Juni 1954
Am Tag vor dem über den Viertelfinaleinzug entscheidenden Spiel gegen die Türkei kommen die deutschen Spieler im Schatten einer Tanne in den Genuss taktischer Schulung. Sie dürfen es sich dabei in Halbkreisformation in Liegestühlen bequem machen und ihrem Trainer lauschen. Herberger führt später Einzelgespräche mit Fritz Walter und Max Morlock, bespricht mit ihnen taktische Maßnahmen.
In der anschließenden Spielersitzung wird klar, dass Kohlmeyer gegen die Türkei wegen einer angeschwollenen Zehe ausfällt. Dr. Loogen hat den Zehnagel zum Teil entfernen müssen. Dafür ist Charly Mai fieberfrei. Somit wird mit einer Ausnahme die Elf vom ersten Türkeispiel zum Einsatz kommen können. Nur Bauer wird Kohlmeyer ersetzen.
Diese Elf tritt bereits heute Abend die Fahrt nach Zürich an, wo am Mittwoch im Hardturmstadion das Spiel stattfinden wird. In einem ruhigen, kleinen Hotel sieben Kilometer außerhalb wird Quartier bezogen, damit sich die Spieler noch von der Reise erholen und sich rechtzeitig akklimatisieren können. Sofern sich der "Club der Unzufriedenen" bereits am Vortag formiert hat, trauen wir Herberger zu, die beiden Interessengruppen durch die frühe Abreise bewusst getrennt zu haben, um einen Konflikt im Keim zu ersticken. Vielleicht erfolgt die Gründung aber auch erst heute Abend in dem Bewusstsein, dass sich Herberger bereits in Zürich befindet und somit ein paar Freiheiten gewonnen sind.
Puskas ist aus der Klinik entlassen worden, in der er zur Beobachtung lag. "Kein Bruch, kein Riss, sondern ein klotziger Bluterguss", besagt eine Quelle. Laut Kölner Rundschau ist jedoch eine Sehne fast völlig gerissen. Mit allen Mitteln modernster Unfalltherapie wird Puskas behandelt, aber sein Arzt, Dr. Kreisz, ist wenig optimistisch. Keinesfalls wird der Major im Viertelfinale gegen Brasilien spielen können!
Schotten und Tschechen fliegen mit der Swissair heim. Die Belgier hängen noch einen Tag am Comer See und in Mailand an ihren doch so kurzen Trip zur fünften Fußballweltmeisterschaft.
Mittwoch, 23. Juni 1954
Auch wenn sich Helmut Rahn längst bei der Weltmeisterschaft in der Schweiz tummelt wollen wir festhalten, dass seine Vereinskameraden von Rot-Weiss Essen heute aus Südamerika zurückkehren.
Zwischen Frühstück und Mittagessen sehen sich Herberger und seine Spieler, die heute Abend gegen die Türkei auflaufen werden, den Ort des Geschehens - das Züricher Hardtturmstadion an. Die übrigen Spieler reisen heute unter Leitung von Albert Sing mit dem Zug von Spiez nach Zürich.
Karl Mais Fieber hat sich zu einer Grippe entwickelt, Kohlmeyer hütet mit geschnittenem und verbundenem großen Zeh das Bett, und Posipals rechter Fußknöchel ist wieder angeschwollen. Mai und Posipal werden trotzdem spielen, für Kohlmeyer wird Bauer die Seite wechseln.
Vor Spielbeginn bittet die Türkei darum, ihre traditionellen Trikots tragen zu dürfen: die weißen mit dem weißen Halbmond im roten Bruststreifen. Fritz erklärt sich damit einverstanden und macht damit die obligatorische Auslosung überflüssig. Drückende Schwüle erwartet die Mannschaften und den französischen Schiedsrichter Vincenti. Fritz erlebt einen peinlichen Augenblick, als ihm der türkische Mannschaftskapitän bei der Begrüßung einen Verbandswimpel reicht. Da bereits beim ersten Spiel ein Wimpeltausch stattgefunden hat, hat er sich nicht darauf vorbereitet. Sein Gegenüber ist allerdings nicht wieder der Torhüter Turgay, der in diesem Spiel pausieren muss. Sollte ihm sein Trainer die vier Gegentore aus der ersten Begegnung angelastet haben? Immerhin gewinnt Fritz die Seitenwahl.
Herbergers Maßnahme, gegen Ungarn die Aufstellung umzukrempeln, hat Konsequenzen: in einem mäßig besuchten Stadion befinden sich nur etwa 7.000 deutsche Zuschauer. Und ihre Sprechchöre klingen für Fritz eher beunruhigend. Eine Schönheitskönigin aus Berlin, die 1953 Miss Germany war und ein Jahr darauf Miss Europa werden wird, überreicht Fritz beim Anpfiff Blumen.
Nach wenigen Minuten verknackst sich Ottmar den Fuß, lässt sich aber nichts anmerken und spielt weiter. Die deutsche Mannschaft brilliert von Beginn an mit vorzüglichem Kombinationsspiel und hervorragendem Verständnis der Einzelnen untereinander. Der Sturm wirbelt beeindruckend und sorgt für ein 3:1-Pausenergebnis. In der zweiten Hälfte verlieren die Türken einen Spieler, der sich verletzt, und können den Deutschen erst recht nichts mehr entgegensetzen. Zum 7:2-Endergebnis steuern Morlock drei, Schäfer zwei und die Brüder Walter je einen Treffer bei. Die Freude der Sieger ist die Trauer der Unterlegenen. In der türkischen Kabine weint der kleine Franco Gemma, der italienische Glücksbringer der Türken, bitterlich.
In Basel hat ein weiteres Entscheidungsspiel stattgefunden: die Schweizer Mannschaft hat dabei von ihrem Heimvorteil profitiert und die Italiener mit 4:1 bezwungen. Damit hat ein weiteres Mal eine ungesetzte Mannschaft eine gesetzte aus dem Wettbewerb geworfen.
Fritz erblickt, wie zur Belohnung, auf dem Weg zum Mannschaftsbus seine Gattin Italia. Sie ist mit Bekannten angereist und wird sich gleich wieder auf den Rückweg machen.
Nach einstündiger Fahrt wird die Reise für ein Abendessen in Rothrist unterbrochen. Wieder genehmigt Herberger ein Glas Bier für Jeden. Gegen ein Uhr nachts erreicht der Bus das vertraute Hotel Belvedere. Kalte Platten für die Hungrigen und Unterwassermassagen für die Geschundenen beschließen den Abend.
Donnerstag, 24. Juni 1954
Die deutsche Mannschaft wird am Sonntag im Viertelfinale auf Jugoslawien treffen. Der Spielort ist Genf, und Herberger, der bereits am Vortag anreisen will, wartet noch auf ein klimatisch adäquates Quartier. Problematischerweise tagt gerade in Genf die Außenministerkonferenz, so dass sämtliche Hotels ausgebucht sind. Xandry benötigt zwei Tage, um ein geeignetes Quartier zu finden: im Genfer Vorort Dully war die französische Equipe untergebracht. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Turnier wird eine angemessene Anzahl von Betten frei. Xandry bucht für Herbergers Mannen ... das Chateau de Dully.
Sämtliche deutschen Spieler sind irgendwie angeschlagen. Masseur Deuser und Dr. Loogen geben ihr Bestes, um den Krankenstand zu reduzieren. Am Nachmittag hat die Mannschaft Freizeit. Die Spieler sonnen sich und schreiben Karten. Mai, Morlock, Metzner, Biesinger und Erhardt dreschen Skat. Xandry und der deutsche Schiedsrichter Schmetzer führen dessen britischen Kollegen Ellis über das Hotelgelände, der mit Gattin und Söhnen zu Besuch kommt. Die Söhne wollen und erhalten Autogramme von den Deutschen.
Zu 18 Uhr lädt der DFB die deutsche Sportpresse ins Belvedere. Posipal wird aufgrund seiner Befindlichkeit als Sorgenkind benannt, Kohlmeyer ist auf dem Weg der Besserung, Schäfers Verletzung erweist sich als nicht so schlimm wie befürchtet, und Eckel hat eine leichte Leistenverletzung. Liebrich wird im Zweifelsfall für Posipal zum Einsatz kommen. Übrigens liegt Puskas nicht mehr im Krankenhaus, bleibt aber in Spezialbehandlung.
Die italienische Nationalmannschaft wird bei ihrer Ankunft am Mailänder Marmorpalais-Bahnhof von Niemandem empfangen. Zu groß wiegt die Enttäuschung über das vorzeitige Ausscheiden des zweimaligen Weltmeisters.
Freitag, 25. Juni 1954
In den vier Viertelfinalbegegnungen treffen u.A. zwei Favoriten aufeinander: Brasilien und Ungarn. Nervenkrieg zwischen den beiden Teams beginnt. Mal heißt es, Puskas spiele am Sonntag auf keinen Fall, mal heißt es, er trainiere bereits wieder. Brasilien hat sich eine besondere Taktik gegen Ungarn überlegt, die man aber getrost für sich behält. Auch die Uruguayer, die auf England treffen, mischen sich ein: es sei schade, dass die Brasilianer ihnen zuvorkämen, die Ungarn auszuschalten, verkünden sie vollmundig. Und die Jugoslawen besuchen die Sportschule in Magglingen, wo Brasilianer und Schweizer (treffen am Sonntag auf Österreich) untergebracht sind, samt Mittagessen und anschließender Siesta.
Sonnabend, 26. Juni 1954
Die Kölner Rundschau teilt mit, dass pro Weltmeisterschaftsspiel vier Bälle zur Verfügung stehen, die nach dem Spiel wieder abgeliefert werden müssen!
Einige deutsche Spieler machen sich im Belvedere unvergesslich und zahlen in "Maikäferwährung". Das heißt, beim Bezahlen einer Rechnung halten sie nicht Münzen sondern frisch gefangene Maikäfer in der Hand verborgen und legen diese den ahnungslosen Hotelangestellten auf die Handflächen. Erschrecken und Gelächter fest einkalkuliert.
So ein Weltturnier ist auch eine hervorragende Spielerbörse: Zum Beispiel buhlen französische Spielereinkäufer um die Österreicher Ocwirk und Stojaspal.
Am Nachmittag machen sich die Deutschen auf den Weg nach Genf und nutzen die Gelegenheit zu einem Zwischenstop in Lausanne, wo die Schweiz und Österreich aufeinandertreffen. Fritz und Ottmar Walter treffen sich bei dieser Gelegenheit mit ihren Gattinnen, die offiziell in Freiburg im Breisgau bei Bekannten logieren. Im torreichsten Spiel des Turniers erleben sie am heißesten Tag des Jahres ein 7:5 zugunsten der Österreicher, die bereits mit 0:3 zurückgelegen haben. Binnen acht Minuten machen diese daraus ein 5:3, auch, weil der Schweizer Torhüter einen Sonnenstich erleidet. Eine halbe Stunde vor Schluss, beim 6:5, ist noch alles möglich. Im Endeffekt macht sich jedoch das eine mehr absolvierte Spiel bei den Schweizern schwächend bemerkbar.
Ebenfalls heute trifft in Basel Uruguay auf England und wirft diese vor den Augen der bereits ausgeschiedenen Türkei mit 4:2 aus dem Turnier. Das Spiel wird von der Eurovision im Fernsehen übertragen.
Die Deutschen beziehen für eine Nacht das Chateau de Dully, wenngleich dieses nicht genügend freie Zimmer besitzt. Der Hausherr improvisiert und stockt mittels einiger Matratzen Zwei-Bett- zu Drei-Bett-Zimmern auf. Die Spieler, die zum Einsatz kommen sollen, dürfen in richtigen Betten schlafen. Aussetzende Spieler müssen mit der Matratze ohne Bettgestell vorlieb nehmen.
Sonntag, 27. Juni 1954
Der Morgen verheißt Gluthitze für den weiteren Tag, was im Hinblick auf Fritz Walters Wetterfühligkeit keine gute Voraussetzung scheint. Nach dem Frühstück nehmen die Deutschen ein Sonnenbad auf der Schlossterrasse, auf der Schlosswiese beschäftigen sich einige Spieler mit dem kleinen Sohn des Schlossbesitzers, binden ihn in ein Spiel ein und stellen ihn in ein improvisiertes Tor.
Später fragt Herberger Fritz im Hinblick auf die Aufstellung um Rat. Posipal will freiwillig pausieren, weil er sich zu lädiert fühlt und der Mannschaft nicht schaden will. ("Wenn ich drehe und die Klötzchen sich ins Fußgelenk drücken, habe ich Schmerzen im Fußgelenk!", wird er später zitiert werden.) Für ihn Liebrich aufzubieten ist nur konsequent. Die schwerere Entscheidung ist die zur Besetzung des rechten Flügels: soll Klodt oder Rahn neben Max Morlock stürmen? Klodt hat in beiden Türkei-Spielen überzeugt, wenngleich er im ersten beeindruckender war. Er ist mit Sicherheit der harmonischere Mannschaftsspieler. Nur sind die Jugoslawen Gegner, die möglicherweise gar kein Mannschaftsspiel zulassen werden. In diesem Fall könnte ein unberechenbarer Spieler wie Helmut Rahn, der im richtigen Moment, unabhängig von seinen Mitspielern, die Initiative übernimmt, mehr nützen. Nach langen Abwägen entscheidet sich Herberger für Rahn.
Vor dem Mittagessen wird die Aufstellung bei der Mannschaftssitzung verkündet. Während der Mittagsruhe fallen in Dully erste Regentropfen. Und kurz vor Spielbeginn dreht der Wind, und Wolken und Kühle kommen auf. Vor Erich Deusers 25. Einsatz als Nationalmannschaftsmasseur bilden die Spieler in der Umkleidekabine einen Kreis, wie es beim 1. FC Kaiserslautern praktiziert wird, und beschwören den Teamgeist. Einer für Alle, Alle für Einen. Dann geht es aufs Spielfeld. Der jugoslawische Kapitän Mitic gewinnt gegen Fritz die Seitenwahl und entscheidet für sein Team, gegen den Wind zu spielen. Drei Jubilare unter den Jugoslawen werden mit Blumen beschenkt. Mitic für sein 50stes Länderspiel, Boskov und Horvat für ihr 25stes.
Dieses Viertelfinalspiel, das nur im Radio übertragen wird, beginnt mit deutschem Anstoß. ZU Beginn und am Ende fallen zwei Tore, die den Deutschen nutzen. Das erste ist ein Eigentor des jugoslawischen Stoppers Horvat, das zweite ein eingelöstes Versprechen von Helmut Rahn, der eine Vorliebe dafür hat, dem für Hadjuk Split spielenden Torhüter Beara, "Einen einzuschenken". Dazwischen liegt Nervenkitzel pur, besonders für die Radiohörer, denen die Reportage Gerd Krämers Alles abverlangt. Ein wahrer Hagel von Großchancen der jugoslawischen Stürmer geht auf das deutsche Tor nieder, doch Toni Turek, der wenige Tage vorher von Herberger vor seinen Mitspielern wegen seiner gelegentlichen Reaktionsschwäche der Lächerlichkeit preisgegeben wurde, ist hinreichend motiviert und liefert eins seiner größten Spiele. Bestens unterstützt vom mit besonderen Defensivaufgaben betrauten Morlock und dem Herrscher über den eigenen Strafraum ... Werner Liebrich. Neben diesen drei Helden kämpft das ganze Team aufopferungsvoll und ohne sich im geringsten zu schonen. Und die Jugoslawen verzweifeln an ihrem Unvermögen, Tore zu schießen. Die türkische Mannschaft sieht sich dieses Spiel noch an, das sie gerne selber absolviert hätte, und fliegt danach zurück in die Heimat.
In Bern endet das im Fernsehen übertragene Spiel zwischen Ungarn und Brasilien im Eklat. Bewusste Unsportlichkeiten von beiden Seiten lassen die Stimmung eskalieren und haben drei Platzverweise zur Folge. Die Ungarn gewinnen auch ohne den verletzten Puskas mit 4:2, auf dem Weg zur Umkleidekabine lauern ihnen die brasilianischen Spielern allerdings auf und zetteln eine Schlägerei an, zu der sich die Ungarn nicht zweimal bitten lassen. Der Einsatz eines Überfallkommandos wird notwendig und verhindert Interviews. Platzwunden und andere Verletzungen hinterlassen einen üblen Beigeschmack, ändern aber nichts am Erfolg der Ungarn und am Ausscheiden der Südamerikaner.
Die deutschen Funktionäre nehmen nach dem Spiel in Genf die Glückwünsche vom FIFA-Aufsichtskommissar und eidgenössischen Verbandsvorstandsstellvertreters Gustav Wiederkehr entgegen. Charly Mai hat von Dr. Loogen einen Notverband um sein frisch lädiertes Knie bekommen, und Kohlmeyer raucht heimlich hinter der Tribüne. Um Neun gibt es zum Abendessen in Dully aufgespießte Hähnchen über dem Feuer des offenen Kamins und pro Spieler ein Glas Sekt. Danach reisen die Deutschen nach Spiez zurück. Um Mitternacht halten Schlachtenbummler den Bus an und verraten den nächsten Gegner - Österreich. Zwischen drei und vier Uhr morgens erreichen sie Spiez. Trotz der Uhrzeit verzichtet Fritz Walter nicht auf die obligatorische Unterwassermassage. Blumensträuße, die vermutlich vom weiblichen Personal des Hotels Belvedere stammen, erwarten die Spieler. Morlocks Knöchel ist nach einem Schlag in der letzten Spielminute im Laufe des Abends angeschwollen. Seine Mitspieler tragen ihn vom Bus auf sein Zimmer.
Montag, 28. Juni 1954
Der Schweizer Fußballverband frohlockt: Die bisherigen Einnahmen der Weltmeisterschaft decken bereits die Ausgaben. Damit werden die vier besonders attraktiven Halbfinal- und Finalspiele der Gewinnzone zugute kommen. Die Arbeit mehrerer Jahre war also auch in wirtschaftlicher Hinsicht nicht umsonst. Großzügig beschließt man, den Weltmeistern nach dem Endspiel Goldene Uhren zu überreichen.
Inge Morlock, die ursprünglich vorhatte, mit ihrem Maxl weiter nach Italien in den Sommerurlaub zu reisen, trifft heute in Spiez ein. Das unerwartete Weiterkommen im Turnier zwingt die Eheleute, ihre Pläne aufzuschieben. Maxl lässt heute das Training ausfallen und bekommt von Masseur Deuser eine Sonderbehandlung mit Alkohol, Salben und Verbänden. Der angeschwollene Knöchel vom Vortag bereitet allen Beteiligten Sorgen.
In Thun findet wie gewohnt freies Training für die erste Elf statt. Währenddessen quellen in Spiez die Postfächer über. Mehr als 100 Telegramme treffen heute im Hotel Belvedere für die deutsche Nationalmannschaft ein. Im Gegensatz zu denen von vor einer Woche, sind die jüngsten ausnahmslos positiver Natur. So ein Spiel wie gegen Jugoslawien haben die Wenigsten Herbergers Team zugetraut. Auch die Fachpresse äußert sich anerkennend. Die österreichischen Journale sind sehr zuversichtlich, dass ihr Team am Mittwoch das Finale erreichen wird.
Dienstag, 29. Juni 1954
Sorgenkind Max Morlock nimmt heute vorsichtig wieder am Training teil. Alleine macht er Dauerlauf, versucht sich später in Spurts. Sein Pessimismus vom Vortag ist wie weggeblasen. Die nächsten 24 Stunden werden über seine Teilnahme gegen Österreich entscheiden.
Immerhin ist Jupp Posipal wieder gesund und auch seelisch wiederhergestellt. Unter Herbergers prüfendem Blick vollführt er Schlag- und Sprungübungen und besteht den Belastungstest zu beider Zufriedenheit. Nun hat der Bundestrainer die Qual der Wahl: Posipal kann wieder, aber sein Vertreter auf dem Mittelläuferposten — Werner Liebrich — hat gegen Jugoslawien das Spiel seines Lebens geboten. Ihn nicht aufzustellen wäre nicht vertretbar. Opfer dieser Situation wird Fritz Laband, der trotz starker Leistungen das schwächste Glied in der Kette bildet und aus der Mannschaft genommen wird. Posipal nimmt dafür Labands Platz in der Verteidigung neben Kohlmeyer ein. Ob das gut gehen wird?
Am Nachmittag findet auf der Terrasse des Belvedere ein Musiknachmittag statt. Das in der Schweiz gastierende Tanzorchester Paul Günther mit der Sängerin Elly Sattler hat einen Abstecher nach Spiez gemacht und bringt die Spieler auf andere Gedanken. In einer Pause greifen sich einige Spieler die herumliegenden Instrumente und bringen sich für ein Foto in Positur, das den Eindruck erweckt, die Mannschaft besitze ein halbes Dutzend Virtuosen - und zwar nicht nur am Ball. Rahn, Kohlmeyer, Biesinger, Klodt, Pfaff und Morlock bringen laut Fritz Walters Erinnerungen so etwas wie Musik zustande. Vermutlich sind aber Alle außer Kohlmeyer, der eine Violine und ein Klavier besitzt, eher unmusikalisch. Toni Turek überreicht nach dem Konzert der Sängerin "im Namen der Mannschaft" einen Blumenstrauß und schafft es sogar, einen Kuss anzubringen. Ebenfalls im Namen der Mannschaft!
Mittwoch, 30. Juni 1954
Der Tag beginnt mit Regenwetter, das den Tag bestimmen wird. Bereits um halb neun Uhr morgens fährt die deutsche Mannschaft nach Basel, wo sie am späten Nachmittag auf Österreich treffen soll. Die Erinnerungen an das 3:8-Debakel gegen Ungarn im selben Stadion sind frisch aber nicht belastend. Wieder wird mittags in einem Hotel nahe der zu erreichenden Stadt Quartier bezogen, ein Hühnergericht verzehrt und die Mittagsruhe mit Auflockerungsmassagen gefüllt. Derweil nieselt es vor den Fenstern, und die Zuversicht der deutschen Spieler wächst.
In der Umkleidekabine des St. Jakob-Stadions überrascht Kohlmeyer seine Mitspieler mit der unüblichen Maßnahme, sich vor dem Spiel zu rasieren. Trotzdem bildet die Elf den "Kreis", bevor sie ins Stadion einläuft. Die Trikotwahl wird dieses Mal verloren — die grünen Trikots kommen zu ihrem Recht. Ein schlechtes Zeichen in den Augen des österreichischen Kommentators Heribert Meisel, der sich an einige verlorene Spiele gegen grün gewandete Deutsche erinnert.
Als um 18 Uhr das Spiel beginnt, ist ein neuer Zuschauerrekord erreicht worden: 30.000 Deutsche befinden sich unter den Zuschauern, und Fritz Walter führt den Anstoß aus. Die Begegnung entwickelt sich zum besten Spiel der deutschen Nationalmannschaft für Jahre. Angetrieben von einem überragenden Fritz Walter, der die Tore, die er nicht selber schießt (er verwandelt zwei Elfmeter), vorbereitet, werden die Österreicher mit 6:1 in Grund und Boden "gewirbelt". Die Hintermannschaft steht solide, während Schäfer (1), Morlock (1) und Ottmar Walter (2) ihren Teil zum Torreigen beitragen. In der Halbzeit, beim Stande von 1:0, werden die Klötzchen an den Schuhen der Spieler ausgetauscht, um bei andauerndem Regen und immer weicher werdendem Boden bessere Bodenhaftung zu erzielen. Vielleicht der Grundstein für den deutlichen Erfolg der Mannschaft.
Zeitgleich wirft Ungarn in Lausanne mit Uruguay die zweite südamerikanische Mannschaft hintereinander aus dem Rennen. In einer wesentlich faireren Partie als der gegen Brasilien siegen die Ungarn nach Verlängerung mit 4:2 und erwirken somit, dass sich im Endspiel am Sonntag zwei Mannschaften ein zweites Mal gegenüberstehen werden: Ungarn und Deutschland. Das Ergebnis der ersten Begegnung ist ja hinlänglich bekannt...
Ludwig Walter, der Vater von Fritz und Ottmar, der als Zuschauer im Stadion weilte und seinen Söhnen vor der Rückfahrt zum Erfolg gratulieren will, tut dies auf Kosten drei gequetschter Fingerspitzen, weil Albert Sing unachtsam die Bustür zuwirft. Dieser Vorfall wird sogar in einer Karikatur in der Rheinpfalz thematisiert werden.
Um 21 Uhr erhält die Mannschaft in einem Lokal zwischen Basel und Spiez ein Abendessen. Gegen Mitternacht folgt ein Nachtmahl im Belvedere, flankiert von einem Glas Sekt pro Spieler. Eine halbe Stunde später treffen die ersten Glückwunschtelegramme ein. Und ein Blumengebinde vom Bürgermeister von Spiez lässt auch nicht lange auf sich warten.
Donnerstag, 1. Juli 1954
Die Regenperiode im Berner Oberland hält an. Um 7 Uhr früh gibt Helmut Rahn auf dem Balkon des Zimmers 303 im Hotel Belvedere seine so beliebte wie berüchtigte Interpretation einer Essener Marktfrau zum Besten und reißt damit sämtliche Hotelgäste aus dem Schlaf.
Das bisherige Abschneiden der Mannschaft bewegt Verbandspräsident Bauwens dazu, die Spielerfrauen zum Endspiel einzuladen. Gerti Rahn packt sofort, verfrachtet den wenige Monate alten Uwe Rahn zu den Großeltern und reist mit Bekannten per Auto in die Schweiz. Dass andere Gattinnen schon seit längerer Zeit in einem Nachbarort von Spiez logieren oder zumindest regelmäßig zu den Spielen angereist sind, muss Herberger, sofern er es weiß, ein Dorn im Auge sein. Das bevorstehende Eintreffen eines knappen Dutzends Gattinnen lässt ihn um die Kontrolle über seine Spieler bangen. Andererseits dürfte ihm klar sein, dass sein Team sich der außerordentlichen Chance bewusst ist, die vor ihm liegt. In ein Weltmeisterschafsfinale schaffen es nur wenige Sportler.
Die Uruguayer haben das morgendliche Training ausfallen lassen. Die Aussicht, "nur" das "kleine Finale" um Platz Drei zu bestreiten, ist eine Enttäuschung, die sie erst mal verkraften müssen. Vor den Augen von Fritz Walters Gattin Italia, die sich schon seit ein paar Tagen in der Schweiz befindet, strotzen die deutschen Spieler bei ihrer Trainingseinheit nur so vor Lust am Fußball. Der ungarische Sportkommentator Szepesi interviewt Herberger und zeigt sich überrascht, dass die Deutschen sich offenbar Chancen gegen die Ungarn ausrechnen, da sie am Morgen nach einem kräftezehrenden Spiel so fleißig trainieren. Herberger bescheinigt den Ungarn unter Normalbedingungen spielerische Überlegenheit, prophezeit den Seinen aber eine geringe Chance, falls das Wetter mitspielen sollte...
Freitag, 2. Juli 1954
Zwei Tage vor dem Endspiel um die fünfte Fußballweltmeisterschaft wird Mannschaftsmasseur Erich Deuser 44 Jahre alt. Davon unbeeindruckt vollzieht er sein übliches Massageprogramm, um die Mannschaft auf den Punkt genau topfit zu bekommen. Das Training dauert heute nur eine Stunde, Mai und Eckel pausieren vorsichtshalber, und anschließend folgt eine taktische Unterweisung! Die Uruguayer sind noch einmal zum Training erschienen, wirken aber lustlos und traurig. Obwohl auch sie den Deutschen nicht wirklich eine Chance einräumen, wünschen sie Fritz und seinen Mitspielern viel Glück und warnen eindringlich vor Kocsis. Eine Warnung, die nach dessen vier Toren aus dem Vorrundenspiel nicht wirklich nötig ist. Herberger hat sich bereits eine taktische Maßnahme für den "Goldköpfchen" genannten Torjäger überlegt.
Zu den sich mittlerweile täglich ergießenden Telegrammfluten gesellen sich inzwischen auch Massen von Päckchen mit Glücksbringern. Unmöglich, diese Fanpost in der kurzen, verbleibenden Zeit zu bewältigen. Zumal am Nachmittag für die Truppe im Spiezer Kino in einer Sondervorstellung ein Western gezeigt wird, um die Spieler auf andere Gedanken zu bringen. Nach dem Abendessen wird endlich der Nähe der angereisten Gattinnen Rechnung getragen: bei Kaffee und Likör dürfen sie ihre Männer sehen. Jedoch achtet Herberger umso sorgfältiger auf pünktliche Einhaltung der Nachtruhe. Seine dezenten Hinweise ab 22 Uhr sind unmissverständlich und werden von seinen Spielern bald befolgt.
Samstag, 3. Juli 1954
Die übliche Trainingseinheit der deutschen Nationalmannschaft wird heute, einen Tag vor dem WM-Finale, durch einen ausgiebigen Dauerlauf auf der Spazierstrecke am Thuner See ersetzt. Danach wird im Hotel geduscht und anschließend Deusers Massagekunst genossen. Posipal hat übrigens wiederholt dem lädierten Puskas die Behandlung mit Unterwassermassagetechnik angeboten, die dieser jedoch ablehnte. Noch immer ist unsicher, ob er das Endspiel bestreiten wird.
Die Spielersitzung birgt keine Überraschung: die Elf, die Österreich demontierte, ist frei von Verletzungen geblieben und wird auch das Finale bestreiten. Der Gegner ist nicht erst seit dem 3:8 hinlänglich bekannt. Sonderaufgaben erhalten Liebrich und Eckel, die sich um den meist zurückgezogen agierenden Mittelstürmer Hidegkuti und um Puskas kümmern sollen. Je nachdem, wie sich die beiden Ungarn das Feld aufteilen, sollen die zwei Lauterer reagieren und die Gegenspieler tauschen. Und Charly Mai soll dafür sorgen, dass der die Torjägerliste mit uneinholbarem Abstand (11 Tore) anführende Kocsis das Dutzend nicht voll macht. Zudem sollen sämtliche Stürmer, sobald ein Angriff gescheitert ist, sofort mit Störaktionen beginnen und die Ungarn am Aufbau des Gegenangriffes hindern.
Das Spiel um den Platz 3 in Zürich zwischen Österreich und Uruguay, das 3:1 endet, verfolgen die deutschen Spieler am Radio. In den letzten Tagen ist der Optimismus gewachsen. Hieß es erst noch "bloß nicht wieder so hoch verlieren", ertönt mittlerweile ein "die putzen wir weg!".
Die FIFA glaubt nicht daran und überreicht schon heute der ungarischen Equipe die goldenen Uhren für den Weltmeister. Eine voreilige Entscheidung, die sich in der Geschichte der Fußballweltmeisterschaft bestimmt nicht wiederholen wird...
Gerti Rahn, wenngleich rechtzeitig aufgebrochen, erreicht Spiez erst nachts, als ihr Gatte und seine Mannschaft bereits vom Endspiel träumen. Mangels besseren Wissens meldet sie sich im Hotel Belvedere, wo Xandry sie in einer Kammer hoch unterm Dach einquartieren kann. Am nächsten Tag wird sie zu den anderen Spielerfrauen nach Thun ziehen.
Während die Deutschen längst im Schlaf Kräfte für das Spiel ihres Lebens sammeln, haben die Ungarn damit so ihre Schwierigkeiten, denn neben dem Hotel Krone in Solothurn findet an diesem Abend ein Fest statt, das erst in den frühen Morgenstunden endet. Es soll Spieler geben, die die Gelegenheit genutzt und mitgefeiert haben...
Sonntag, 4. Juli 1954
Um sieben Uhr früh steht Fritz Walter auf dem Balkon und erblickt die Morgensonne. Ein prinzipiell schöner Augenblick, doch erhofft sich der deutsche Mannschaftskapitän zumindest für die Stunden des Finales bewölkten Himmel und leichten Regen.
Um elf Uhr fährt Herberger nach Bern, um die Platzverhältnisse im Stadion zu kontrollieren. Sollte der Boden zu trocken sein, gäbe es Möglichkeiten, daran etwas zu ändern... Doch kurz darauf ist Herberger wieder da. Mit einem Blechschaden. Ihm ist nichts passiert, aber er hat Zeit verloren. Zusammen mit Dassler wagt er einen zweiten Versuch.
Um zwölf Uhr setzt leichter Regen ein, und beim Mittagessen, dem letzten Hühnergericht dieser Weltmeisterschaft, regnet es richtig. Mit der Konsequenz, dass die Bewässerungsanlage des Wankdorfstadions nicht aktiviert werden muss. Auflockerungsmassagen für die Finalelf füllen die Mittagsruhe, und um 15 Uhr beginnt die Fahrt zum Stadion. Vom Prasseln der Regentropfen rhythmisch begleitet singt sich die deutsche Mannschaft in Stimmung.
In der Umkleidekabine, nachdem bekannt geworden ist, dass Puskas mit von der Partie sein wird, erklärt ein Vertreter des Schweizerischen Fußballverbandes das Prozedere vor und nach dem Endspiel. Durch einen Versprecher suggeriert er, dass die Deutschen das Endspiel gewinnen werden. Ist ihm dieser Versprecher bewusst? Oder will er nur höflich sein?
Die Spieler bilden den Kreis, und schon ertönt der Pfiff von Schiedsrichter Ling. Zehn Minuten vor Fünf laufen die Mannschaften ins Stadion ein. Die Ungarn haben sich im Regen bereits warmgelaufen. FIFA-Ehrenpräsident Rimet und der Schweizer Präsident Rubattel begrüßen die 22 Spieler per Handschlag, eskortiert vom jeweiligen Mannschaftskapitän. Dutzende von Fotografen nehmen ausschließlich die Ungarn in Beschlag. Niemand traut den Deutschen die Überraschung zu.
Hymnen und Wimpeltausch. Puskas gewinnt die Platzwahl und entscheidet sich, mit dem Wind zu spielen. Kurz vor 17 Uhr startet Ling das Spiel. 20.000 Deutsche haben Karten für das Finale erwerben können. Bis zu 33 Schweizer Franken hat eine Karte auf dem Schwarzmarkt gekostet. Unter den ZuschauerInnen: Italia und Anneliese Walter, Gerti Rahn, Inge Morlock, Isis Schäfer, Gerti Liebrich, Wilhelmine Turek, Marta Mebus. Nicht live dabei sind Carola Kohlmeyer, Gisela Posipal, und die zukünftigen Else Mai, Annette Klodt und Brunhild Metzner.
Der Spielverlauf ist Legende einen frühen 0:2-Rückstand (Puskas und Czibor), der ein neuerliches Debakel ankündigt, machen Morlock und Rahn bis zur 18. Minute wett. Als es zur Halbzeit noch immer Unentschieden steht, mehren sich die Zweifel auf ungarischer Seite. Und auch Zuschauer und Fachleute ahnen, dass das Spiel eine unvorhergesehene Wendung nehmen könnte. Herberger macht seinen Spielern klar, dass sie "nur noch einmal 45 Minuten" die Zähne zusammenbeißen müssen, und in der zweiten Spielhälfte macht sich die minutiöse Vorbereitung bezahlt. Die deutschen Spieler sind topfit und energiegeladen (Hans Schäfer wird sie zehn Jahre darauf als die "erste Profi-Mannschaft Deutschlands" bezeichnen), die Mannaufteilung funktioniert großartig, der prasselnde Regen lässt aufgrund der "Geheimwaffe Dassler-Schuh" die Vorteilswaage Richtung Außenseiter ausschlagen, und die Überzeugung, dass vor der letzten Spielminute nichts entschieden ist, führt zum Sieg von David über Goliath: In der 84. Minute landet ein abgewehrter Ball bei Helmut Rahn. Wie gut, dass er nicht in Südamerika geblieben ist...
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