Ungarn

 
 
 
   
 

 

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Eine Ausnahmemannschaft, hoch favorisiert, Olympiasieger 1952, vier Jahre lang ungeschlagen. Brachte das Kunststück fertig, die Londoner Fußballfestung Wembley-Stadion zu stürmen. Noch nie hatte die englische Auswahl gegen eine Mannschaft vom Kontinent verloren. Im November 1953 unterlag sie den Ungarn gleich mit 3:6 Toren, beim Rückspiel in Budapest sogar mit 1:7!

Die Spieler besaßen den unschätzbaren Vorteil, sich ausschließlich aufs Fußballspielen konzentrieren zu können. So wertvoll waren dem Sozialismus die Erfolge vor den Augen der Welt, dass er die prestigeträchtigsten Sportarten nach Kräften förderte. Puskas, Hidegkuti, Kocsis, Bozsik - Ihre Namen sind Legende des Weltfußballs. Kein Wunder, dass den deutschen Feierabendfußballern keine Chance eingeräumt wurde. Die Mannschaft Polens hatte ihre Teilnahme zurückgezogen, nachdem Ungarn als Qualifikationspartner bekannt geworden war.

Auch ungarische Spieler wurden in den frühen Fünfzigern wiederholt in die Europa-Auswahl berufen, was der ungarische Fußballverband jedoch ablehnte. Im Fall der "Kontinent" gegen England im Herbst 53 mit der Begründung, die Ungarn würden ja selber wenig später gegen England spielen und könnten deshalb Niemanden abstellen.

Beurteilung der Ungarn durch den WM-Ausrichter: Beste athletische Grundlagen und höchstes technisches Können. Prototyp modernen Fußballs. Angriff kommt vor Verteidigung.

Das weitere Schicksal der Spieler besaß einen gemeinsamen Nenner: Den Volksaufstand in Ungarn und seine Folgen. 1956 erhob sich die unzufriedene Bevölkerung gegen die Gewaltherrschaft, und alsbald wurde der "Sieg des Volkes" verkündet. Die Armee stellte sich auf die Seite der Revolution. Ein neuer Regierungschef genehmigte den Spielern von Honved Budapest, dem der Großteil der Nationalspieler angehörte, einen Urlaubsschein für ein Europacup-Spiel gegen Atletico Bilbao. Auf Bilbao folgen Freundschaftsspiele in Antwerpen, Essen, Paris, Madrid, Barcelona. Überall warteten ausverkaufte Stadien. In Ungarn warfen derweil die Sowjets den Aufstand nieder. Angst um Frauen und Kinder führte unter den Honved-Spielern zu Streit, Zerwürfnissen, Schlägereien. Czibor erlitt einen Nervenzusammenbruch. Die Spieler machten in Mailand Station und verlangten Garantien für gute Behandlung und gegen Repressalien. Auch wollten sie ihren privaten Besitz behalten dürfen. Der ungarische Verband hingegen forderte von der FIFA, Freundschaftsspiele mit Honved Budapest zu verbieten, und ächtete die Spieler. Trotzdem gelang die Organisation einer sechsmonatigen Südamerika-Tournee. In Wien trennte sich die Mannschaft. Puskas, Czibor, Kocsis und drei Andere blieben ihrer Heimat fern. Die FIFA sperrte sie auf ungarischen Antrag für ein Jahr.

Kader:
József Bozsik, Laszlo Budai, Jenö Buzansky, Lajos Csordas, Zoltan Czibor, Sandor Geller, Gyula Grosics, Geza Gulyas, Nándor Hidegkuti, Bela Karpati, Sándor Kocsis, Imre Kovacs, Mihaly Lantos, Gyula Lóránt, Ferenc Machos, Peter Palotas, Ferenc Puskás, Ferenc Szojka, József Toth, Mihaly Toth, Pal Varhidi, József Zakarias.

Spielkleidung:
Trikot - rot; Hose - weiß; Socken — grün.


Die Finalmannschaft im Einzelnen:

Nummer 1 — Gyula Grosics
(*04.02.1926 +13.06.2014)

Stammte aus einer Industriestadt, arbeitete als Buchhalter, nahm an drei Weltmeisterschaften teil (1954, 58 und 62). Er bestritt 86 Länderspiele für Ungarn (1947-62) und kam auf 390 Erstligaeinsätze für Honved Budapest, wo er nach Repressalien durch die parteihörige Vereinsführung das Weite suchte. Grosics wechselte zu Tatabanja, und wurde dort (und auch in Kuwait) später Trainer. Er besaß in Budapest ein Modegeschäft, wurde 1979 Klubvorsitzender des SC Volan, mit dem ihm der Erstligaaufstieg gelang, arbeitete als Abteilungsleiter einer Automobilbehörde, überlebte einen Herzinfarkt und wurde 1989/90 Aktivist des Ungarischen Demokratischen Forums.

Nummer 2 — Jenö Buzansky
(*04.05.1925 +11.01.2015)

Rechter Verteidiger.

Nummer 3 — Gyula Lorant
(*06.02.1923 +31.05.1981)

Mittelläufer. Begann als Stürmer, wurde später Läufer und Außenverteidiger, spielte erst bei Vasas, dann bei Honved Budapest. Man sagte ihm fabelhafte körperliche Konstitution und eine ständige gute Verfassung nach, mit der er sich pausenlos ins Spiel einbrachte. Absolvierte 37 Länderspiele bis 1955. 1956 verließ er Frau und Kinder und ging in seine Wahlheimat Deutschland, wo er Trainer wurde: 1965-67 und 1969-71 beim 1.FC Kaiserslautern (Bundesligafünfter 1967), 1967-68 MSV Duisburg, 1971-72 beim 1. FC Köln (Bundesligavierter 72), 1972-74 Kickers Offenbach, 1976-77 Eintracht Frankfurt (Bundesligavierter 77), 1977-78 Bayern München, 1979 Schalke 04. Berüchtigt für seine offenen Worte bekam er wiederholt Konflikte mit seinen Vereinsvorsitzenden. So hart wie er als Spieler agierte, war er auch als Trainer. Starb an Herzversagen nach dem Siegtor seiner Mannschaft auf der Trainerbank von PAOK Saloniki.

Nummer 4 — Mihaly Lantos
(*29.09.1928 +31.12.1989)

Linker Verteidiger, spielte für MTK Budapest, absolvierte 52 Länderspiele (49-56).

Nummer 5 — Jozsef Bozsik
(*28.11.1925 +31.05.1978)

Rechter Läufer, 447 Ligaspiele für Honved Budapest, 100 Länderspiele (50-62), ungarischer Meister 1949, 50, 52, 54 und 55. Spitzname "Zsu-Zsu", wie die Budapester Droschken-Kutscher ihren Pferden zuriefen. Bewegte sich in behäbigem Trab, war aber dabei ein Ästhet des Fußballspiels, nie hastig, immer intelligent, mit Übersicht und enormer Ballsicherheit. Der beidbeinige, präzise Schütze und Motor seiner Mannschaft war eines von sechs Kindern eines bescheiden verdienenden Fabrikarbeiters. 1945 spielte Bozsik zum ersten Mal in der ersten Mannschaft von Kispest. Nach der Fusion mit dem Armee-Club Honved erhielt auch er den Majorsrang, ohne eine militärische Funktion wirklich auszuüben.

Er blieb nach der Zerschlagung des Aufstands in Ungarn, wurde Parlamentsabgeordneter (mehr ein Aushängeschild als ein echter Politiker) und führte mit seiner Frau in Budapest ein Damenmodegeschäft. Nur kurz versuchte er sich als Trainer bei Honved und wechselte danach zum technischen Berater und Klubvorstandsmitglied. 1974 war er für ein Länderspiel ungarischer Nationaltrainer. Er schrieb Kommentare für die Budapester Sportzeitung "Kepes Sport" und verstarb mit 52 Jahren an einem Herzinfarkt.

Nummer 6 — Jozsef Zakarias
(*25.03.1924 +22.11.1971)

Linker Läufer, "die graue Eminenz",
war Trainer in Afrika, brachte ein Magenleiden mit nach Hause,

Nummer 8 — Sandor Kocsis
(*21.09.1929 +22.07.1979)

Halbrechter, genannt "Goldköpfchen", zigeunerhaftes Aussehen, schlaksig, grandioses Kopfballspiel, exzellentes Dribbling, körperloses Spiel. Mit 16 kam der Sohn eines Nachtwächters in die erste Mannschaft von Ferencvaros Budapest (und wurde dort 49 ungarischer Meister), anlässlich seiner Einberufung zum Militär wurde er zwangsweise zum Armeeclub Honved geholt, wo er von 1950-56 spielte (Meister 50, 52, 54, 55). Nachdem er im Ausland geblieben war, folgten Young Boys Bern (1957) und der CF Barcelona (1957-65 mit dem spanischen Meistertitel 1959 und 1960 und dem des Pokalsiegers 1959 und 1963). In 68 Länderspielen (1948-56) erzielte er 75 Tore (!), davon allein elf beim Turnier in der Schweiz. Und in der höchsten ungarischen Liga wurde er 1951, 1952 und 1954 Torschützenkönig.

Er war ein Naturtalent. Während Puskas ein Denker war, handelte Kocsis als Spieler stets intuitiv, unbewusst. Sein Leben endete in einem Krankenhaus in Barcelona mit Selbstmord, nachdem ihm wegen einer Gefäßverengung der Teil eines Fußes amputiert worden war.

Nummer 9 — Nandor Hidegkuti
(*03.03.1922 +14.02.2002)

Mittelstürmer, spindeldürres Arbeiterkind, das erst mit 30 einen Stammplatz in der Nationalmannschaft erhielt und deshalb "der Alte" genannt wurde. Bekam mit 18 eine Stelle als Ableser der Gasuhren und Kassierer für die Gaswerke mit Pensionsberechtigung. Er lernte es, mit Menschen umgehen, nahm Rücksicht, übte Zurückhaltung. Als Spieler gelangen ihm hauchzarte Pässe wie kraftvolle Schüsse.

Als große Ausnahme neben den zahlreichen Honvedspielern gehörte Hidegkuti dem MTK Budapest an, mit dem er Ungarischer Meister 1951, 1953 und 1958 sowie Pokalsieger 1952 wurde. 39 Tore gelangen ihm in seinen 68 Nationalmannschaftseinsätzen. Am berühmtesten dürfte dabei sein Hattrick gegen England in London gewesen sein, der unterstreicht, dass die britische Abwehr mit seinen Laufwegen als zurückhängender Mittelstürmer vollkommen überfordert war. Später wurde er Trainer — erst 1960 bei MTK, 1961-63 in Italien (FC Florenz und AC Mantua), 1963 bei Vasas Györ, mit dem er ungarischer Meister und Halbfinalist im Europapokal wurde. Hidegkuti starb kurz vor seinem 80. Geburtstag an Herzversagen.

Nummer 10 — Ferenc Puskas
(*02.04.1927 +17.11.2006)

Halblinker, bei den Ungarn "Öcsi" genannt ("der Kleine"), bei den Spaniern "Pancho". Sohn schwäbischer Einwanderer, Vater Ferenc war Trainer bei Kispest Budapest und stellte Ferenc Jr. mit 16 in die erste Mannschaft. Mit 15 sah er als Balljunge Fritz Walter beim Länderspiel Ungarn gegen Deutschland in Budapest, das dank zwei Walter-Toren mit 3:5 endete. Mit 22 bestritt er sein erstes Länderspiel für Ungarn, dann wurde Kispest zum Armee-Club Honved Budapest (für den Puskas von 1945 bis 1956 358 Tore schießen sollte), sämtliche Spieler von Kispest und sämtliche ungarischen Nationalspieler wurden in einem achtwöchigen Schnellkursus zu Offizieren ausgebildet. Für den Olympiasieg 1952 verlieh man ihm den Majors-Titel.

Nach den Unruhen von 1956, der Südamerikatournee und der Spielsperre meldete sich im April 1958 Real Madrid bei Puskas. Seine zweite Karriere begann. Neben Alfredo di Stefano, der spanischen Fußballlegende. Puskas ordnete sich unter, und zusammen schrieben sie Fußballgeschichte. Puskas wurde fünfmal spanischer Meister, viermal erfolgreichster Torjäger der spanischen Liga (324 Tore) und Europa-Cup-Sieger 1960. Seine Spielerkarriere endete 1965 mit 38 Jahren. Er hatte es bis dahin auf 84 Länderspiele für Ungarn (82 Tore) und vier Länderspiele für Spanien (2 Tore) gebracht.

Ein beruflicher Ausflug in die Salamifabrikation soll weniger erfolgreich verlaufen sein. Auch als Trainer in Spanien und Kanada erreichte Puskas nicht viel, bis er mit Panathinaikos Athen 1971 ins Europapokalfinale einzog. Es folgten Trainerstationen in Saudi-Arabien, Spanien, Chile und Australien. Nach den politischen Veränderungen in Ungarn kehrte er 1990 mit seiner Frau wieder in die Heimat zurück. Puskas wurde stellvertretender Vorsitzender der Nachwuchskommission des Ungarischen Fußballverbandes. 1993 war er für vier Spiele Verbandskapitän der ungarischen Nationalmannschaft.

Nummer 11 — Zoltan Czibor
(*23.08.1929 +01.09.1997)

Linker Außenstürmer, begann bei Ferencvaros Budapest und wurde wie Kocsis aufgrund seiner Einberufung automatisch Spieler bei Honved. 43 Länderspiele für Ungarn. Auch er spielte beim CF Barcelona (57-63).

Nummer 20 — Mihaly Toth
(*14.09.1926 +07.03.1990)

Rechter Außenstürmer.


Gustav Sebes
(*22.01.1906 +30.01.1986)

Trainer, Sohn eines Schuhmachers, Nachfahre ungarischer Schwaben, begann das Fußballspiel mit 12 Jahren, emigrierte nach Frankreich und fand bei Renault Arbeit. Nach einer Zeit als Aktiver für die ungarische Emigrantenmannschaft Nomad Paris und für Billancourt, kehrte Sebes 1927 in die Heimat zurück, spielte für den MTK Budapest, absolvierte 1935 ein Länderspiel (3:2 gegen Deutschland!) und wurde nach 200 Meisterschaftsspielen 1940 Trainer bei Dosza Ujpest und Ferencvaros Budapest, ab 1945 Verbandstrainer, ab 1949 Nationaltrainer. Das erste Länderspiel unter seiner Führung ging 1950 gegen Österreich mit 2:4 verloren. Die Rehabilitation gelang am 4. Juli 1950 (!!!) mit einem Sieg gegen Polen (5:2).

Die Kommunisten ließen den 1930 eingeführten Professionalismus abschaffen und schufen den Verein Honved als sportliche Heimat für die Armee-Angehörigen. Er wurde Sammelbecken der besten Fußballer des Landes, darunter sieben aus der Nationalmannschaft. Sebes wurde Präsident des NOK von Ungarn, Mitbegründer der UEFA sowie stellvertretender Sportminister. Mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen war seine Zeit vorbei. Während sich seine glorreiche Nationalmannschaft in alle Himmelsrichtungen absetzte, ging Sebes in Pension.




 

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